Werk.

20.03.2000 · Kolumne.

Die Antwort liegt im Gehen.

Der Standard. Kommentar der Anderen. S. 1. 20.03.2000

Von der Lust und der Unlust am donnerstäglichen Wandern.

19.3.2000

„Wozu soll das gut sein?“ fragte mich der Journalist. Ein bißchen griesgrämig fragte er nach dem Sinn der Donnerstag-Wandertage. Warum ich da mitginge. Ein bißchen höhnisch fragte er das.

Die Donnerstag-Wandertage? Die Frage nach einer konkreten Durchsetzung eines politischen Ziels wäre dann zu stellen, richtete sie sich an eine gewaltbereite Masse. An eine drohende Masse. Der höhnische Ton machte deutlich, daß der Frager das Donnerstag-Treiben ein bißchen herablassend betrachte. Er wäre in den 70ern ja auch demonstrieren gewesen, meinte er. Das hätte anders ausgesehen. Ja! Das war anders und das ist auch genau der Unterschied. Damals war man Masse und durch Parolen fremdbestimmt. Heute. Bei den Donnerstag-Wandertage bewegt man sich in einer freundlichen Menge und ist eigenständig und macht Musik und immer die eigene.

Heute finden in den Donnerstag-Wandertage 2 Dinge ihren Niederschlag. Zuerst einmal muß im post histoire jeder und jede Ausdruck für das eigene Leben finden. Jeder und jede sind darin gezwungen, eigene Sprache zu entwickeln.Jeder und jede muß darin vorgehen wie ein Künstler oder eine Künstlerin. Oder es wird an vormoderne Regelsysteme delegiert. Kirchen. Sekten. Politische Ideologien. Die Donnerstag-Wandertage sind ein Statement. Gegen Rassismus. Mitgehen bedeutet, dieses Statement zu machen. Als Ausdruck der einzelnen, die mitgehen, ist dieses Mitgehen Kunst.Das weist zunächst einmal nicht über sich hinaus und ist gerade darin das Politische. Also. Ich will nicht in die Politik gehen, aber ich will politisch sein. Deshalb gehe ich am Donnerstag abend wandern.

Jeder und jede „ergeht“sich das eigene Statement Antirassismus. Die Chancen, daß daraus Alltagshandlungen im Geist dieses Statements resultieren, sind damit sehr hoch. Und darum geht es. Daß Politisches im Alltag wirksam wird. Und. Wir versichern einander der Existenz dieses Statements und machen es damit nach außen sichtbar. In einer Kultur, die kein ziviles Gewissen kennt, ist das sehr viel.

Und zweitens. Es muß eine neue Poetik des Politischen entwickelt werden. Die Verwendung altmodisch patriarchaler Formen der Äußerung verbietet sich. Das bedeutet keine Gewalt. Und das bedeutet, keine Massenbildungen. Das bedeutet vor allem jede Vermeidung von Kathartischem. Kein Gesunden im Aufseufzen einer Masse. Wie aber kann dennoch politisches Handeln in der Öffentlichkeit stattfinden. Die Antwort liegt im Gehen.

Die Donnerstag-Wandertage haben eine eigene Gangart entwickelt. Es ist ein schnelles Sich Fortbewegen. Eine Rastlosigkeit. Ein stetes Verlassen der Orte, die zur Masse einladen. Die Menge bewegt sich fort. Jeder und jede befördern das. Niemand wird mitgetrieben. Auch hier eine Einigung. Und wer nicht mehr will, der verläßt das Gehen. Oder kommt später dazu.

Und. Die Projektion der Sprüche auf das Bundeskanzleramt am Anfang ist politische Demonstration und kann gleichzeitig als Eröffnung des Vernissagereigens in den Galerien am Donnerstag fungieren. Die Idee, das Bundekanzleramt hinter Texte wie „na eh“ und „weißt eh nix“ in unendlicher Folge verschwinden zu lassen, ist adäquater Ausdruck . Und witzig.

Er könne das Getue um das Mitgehen nicht mehr hören, hatte der Journalist gesagt. Er könne diese Romantisierung nicht mehr aushalten. Aber. Muß er zugeben. Dabei gewesen. Das wäre er nicht. Und deshalb kann er nichts über die Stimmung wissen. Die Donnerstag-Wandertage tragen utopisch anarchische Züge an sich. Die Regeln können außer Kraft gesetzt werden, weil alle sich auf Freundlichkeit geeinigt haben. Und das ist dann ja auch schon die Botschaft. Toleranz im Antirassismus. Beglückende Gemeinsamkeit in einem positiven politischen Gefühl. Das ist natürlich etwas, was es eigentlich gar nicht gibt. Jedenfalls nicht für mich aus der Kalten Kriegs Generation.

Es ist einfach und schadenfroh, dieser fragilen Unternehmung Ergebnisse abzuverlangen und ihr rasches Ende herbeizuraunzen. Natürlich wird das alles vorbeigehen. Das haben wir von der DDR gelernt. Aber. Ist Politisierung nur im Turbotempo akzeptabel. Oder in Form von Parteiprogrammen. Und dann nur bei Erfolgen in Wochenfrist. Und. Möglicherweise sind die Donnerstag-Wandertage nur eine kleine Übung in kreativer Demokratie. Aber ein Anfang. Und ich werde üben und gehen.