Werk.

07.09.2017 · Rede.

Reformation. Stadtmuseum Düsseldorf.

07.09.2017

Anlässlich der Ausstellungseröffnung Reformation? im Stadtmuseum Düsseldorf hielt Marlene Streeruwitz eine einleitende Rede.

 

Circumdederunt me gemitus mortis,

dolores inferni circumdederunt me,

praeoccupaverunt me nimis laquei mortis;

Domine, miserere.

Mich umfingen die Wehen des Todes,

die Schmerzen der Unterwelt umfingen mich.

Mich überraschten heftig die Schlingen des Todes.

Herr, erbarme dich meiner!

Circumdederunt me gemitus mortis,

 

Daß Naturkatastrophen die Landschaften, in denen sie wüten, auf immer veränderten, stand heute in der FAZ zu lesen. Ich klickte den Artikel weg. Wie empathisch über Landschaft gesprochen werden kann. Und. Wie wenig solche Empathie auf Personen angewandt wird. Denn. Auf Personen bezogen hieße eine derartige Veränderung innerer Landschaften Trauma und von der traumatisierten Person würde erwartet werden, daß sie die, durch die Gewalt hervorgerufenen Veränderungen integriert. Die Person sollte sich reformieren. Sich wiederherstellen. Sich erneuern. Sollte nicht eigentlich über die Gewalt gehandelt werden, aus der sich die traumatisierenden Zufügungen begründen? Und hat das in unseren Kulturen selbstverständlich unstaunende Sprechen über Gewalt nicht eben dieser Gewalt zustimmenden Charakter?

 

dolores inferni circumdederunt me,

 

Wie die Landschaften nie wieder die sein werden, die sie vor der Katastrophe waren, wird die Zufügung die Personen für immer verändert haben. Mit wem aber könnten die sich wiederherstellen Müssenden ihre Trauer über den Verlust ihrer selbst teilen. Die zu führende Klage kann nicht geführt werden. In unseren entkörperten Kulturen, in denen wir durch postings repräsentiert werden, haben keine Orte mehr, an denen die Klage vom Klagenden geäußert werden. Unsere Körper sind in Kontrolle verbannt und in Datensätzen aufbewahrt. Wollten wir unsere eigene Integrität wiederherstellen, also reformieren. Keiner und keine könnte das allein. Eine Person für sich sein und über sich Selbstbestimmung ausüben. Das hat es nie gegeben. Und dann. Die Interdependenzketten sind nicht mehr auszunehmen. Die Verwobenheiten anonym. Die Abhängigkeiten werden über Renationalisierungen verortet, während die Anforderungen und lebensbestimmenden Mythen globalisiert auftreten. Allein. Einzeln. Das Innenleben der Person ist der Austragungsort all der Maßnahmen und Entscheidungen geworden, die der postaufgeklärte Staat nicht mehr übernimmt und der einzelnen Person aufträgt. Das Innenleben der Person ist Invasionsgebiet und Aufmarschort all der Aufträge, die die Selbstfürsorge und Selbstvorsorge einer Person bewerkstelligen sollen. Sorge um sich ist vorgeschrieben. Gemeinde. Gemeinschaftliches die einzige Möglichkeit, sich überhaupt Bewegung zu verschaffen. Demokratie also. Aber wie Demokratie sprechen, wenn keine Sprache dafür zu Verfügung ist? Wo? Wen? Wie sollte geklagt werden.

 

praeoccupaverunt me nimis laquei mortis;

 

In seiner Tischrede Nr. 4316 im Jahr 1538 preist Luther die Motette „Haec dicit Dominus“, für die Conrad Rupsch zur Melodie von Josquins „Nymphes, nappés“ den Text „Circumdederunt me gemitus mortis“ dafür, den Sinn von Leben und Tod, von Gesetz und Wort darzustellen. Auf die Klage des „Circumdederunt…“ antworten 4 Stimmen mit den Worten „Haec dicit Dominus, de manu mortis liberabo populum meum“. Diese Musik sei tröstlich, sagt Luther.

Nun. Der ursprüngliche Text von Josquin Desprez handelte von antiken Göttinnen. „Nymphen, Napaien, Nereiden , Dryaden“ lautet die erste Zeile dieses Texts, der von Rupsch durch die Zeile „Circumdederunt me gemitus mortis“ ersetzt wurde. Der Renaissance-Komponist und Sänger Josquin Desprez greift in seinen Liedern oft auf antike Motive zurück und meint damit sehr iridisch gemeinte Lust und Liebeshändel. Auf die Musik zu dieser Zitatfigur dionysischen Lebens setzt Rupsch die Klage über die Sterblichkeit des Menschen. Eine Liebesklage wird zur Klage über die Existenz an sich. Die Sprache irdischer Liebesklage wird zum Sprechen spirituellen Beklagens der Unausweichlichkeit des Todes. Aus der Frivolität menschlichen Irrens wird der christliche Gott sein Volk befreien. Liberabo, sagt dieser Gott.

 

Domine, miserere.

 

Wenn wir heute über die Umstände unserer Existenzen diskutieren, dann geht es fast ausschließlich um die Herleitung der Gründe. Das ist wichtig. Das ist interessant. Das ist grundlegend. Dann aber. Es sind Folgerungen aus diesen Herleitungen abzuleiten. Es genügt nicht zu sagen, man oder frau verstünde die Wut anderer Personen. Es müssen die Gegenfragen gestellt werden. Und die Folgerungen müssen eine Praxis bekommen. Imgrund ginge es darum, in Nachziehverfahren sich der Sprachen bewußt zu werden, die einer oder eine in Gebrauch genommen hat. Da wieder könnte es darum gehen, das schwammig Religiöse in den Sprachen aufzuspüren und sich bewußt zu machen. Ich bleibe jetzt einmal bei der Literatur. Im Literarischen konnte sich – vor allem in der Lyrik – ein ungenau Kunstreligiöses erhalten, das sich der Metaphern und der Lexikalik der Sprachen der christlichen Religionen bedient. Das sich dem jeweiligen Marketingziel unterwerfen kann und sich allen Gebrauchsanforderungen anverwandelt. Am Ende kommt Werbung heraus. Hochkultur. Hollywood. Und ziemlich sicher Donald Trump.

Ein großer Abschied wäre von diesem Gebrauch zu nehmen. Politik müßte dann realistisch verhandelt werden und könnte sich nicht mehr der Metapher als sprachliche Maske bedienen. In der Liebe müßte realistisch geredet werden und keine metaphorische Versprechung den Betrug romantischer Verführung unternehmen. Es ginge darum, keine sprachlichen Erscheinungsweisen zu produzieren, für die es keine reale Entsprechung gibt. Bezeichnung und Bezeichnetes müßten kongruent sein können. Für das Innenleben aber. Für das Persönliche. Für die spirituellen Fragen. Da wäre es der Entscheidung der Person überlassen, welchen Reichtum sie wählen will. Sprachlich und damit inhaltlich. Und nie. Nie sollte es um die Wiederherstellung gehen müssen. Immer sollte ein vorsichtiges Vorwärts entlang der Zeit möglich sein. Und die Klage. Sie sollte immer polyphon zu führen sein und nie zur Harmonie einer eindeutigen Melodie von Haß und Zerstörung zusammengeführt werden dürfen. Es haben sich ja nur die Realia verändert. Die Seufzer des Todes umgeben uns weiterhin. Circumdederunt me gemitus mortis.