Werk.

13.10.2018 · Drama.

Mar-a-Lago. oder. Neuschwanstein.

Berlin. Erstveröffentlichung: 13.10.2018
Berliner Ensemble

Den Volltext zum Downloaden gibt es hier.

Mar-a-Lago. oder. Neuschwanstein.

5 Stationen.

 

Zur Aufführungspraxis.

Regie und Bühnenbild sind für diesen Text – wie für alle meine Texte – am Theater nur dann berechtigt, wenn durch die Erarbeitung einer Aufführung die Arbeitsplätze und damit die Praxis und das Wissen vor allem der technischen Mitarbeiterinnen gesichert werden. Das gilt für das deutschsprachige Stadttheater und die da bis heute übliche Aufführungspraxis der von der Regie abgezeichneten Endgülitgkeiten.

Der vorgelegte Text kann aber ebenso in chorischer Zusammenarbeit von Schauspielerinnen und Technik von der ersten Leseprobe an zur Aufführung gebracht werden. Repliken und Autorinnentext bilden in ihrer Festlegung jene starke Matrix, die entlang der Prozess der Erarbeitung verlaufen kann.

Repliken und Autorinnentext stellen gemeinsam die Theatralität des Texts her. Regie oder jeder andere Weg zur Aufführung muß die Einheit von Text, Bild und Handlung bedeutungsstiftend akzeptieren. Der Text ist gedachte Aufführung im Mitdenken der Bedeutung der Bühnenmittel. In der Konkretisierung des Versprachlichten im Text in der jeweiligen Aufführung ist dann jedoch jede Freiheit gegeben.

Eine kollektive Zusammenarbeit von Schauspielerinnen und Technikerinnen kann sich diesem Text entlang in jeder Probe schon als Aufführung zeigen. Der verfestigte Text reichte als Dirigat. Das Wissen und das Können jeder mitwirkenden Person soll auf die je gewählte Funktion im Ganzen angewandt und im gemeinsam Ziel des Aufführens zusammengefügt werden.

Das deutschsprachige Sprechtheater ist ein ausschließendes Medium und bindet sehr viel Geld. Trotzdem muß es darum gehen, dieses Medium kritischer Kultur in zeitgemäßer Form zu sichern und für die Zukunft zu erhalten. Dazu gehört die Reform neoliberal angepaßter Arbeitsverhältnisse wie die Arbeitszeiten der Schauspielerinnen, die Abhängigkeit der Schauspielerinnen von Regisseuren und Intendanten und eines gender pay gaps in der Bezahlung.

In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts gelang die Erhaltung des deutschsprachigen Sprechtheaters durch Budgeteinsparungen, die vor allem die Technik und in sexistisch hierarchischer Weise die Schauspielerinnen einschränkte, deren Arbeitsverfassung immer noch aus den 20er Jahren stammt.

Die Intendanten der 80er Jahre retteten aber vor allem ihre Gagen und begründeten dieses Privileg mit denselben Argumenten der Verantwortung und Arbeitslast wie Bankmanager ihren Bonus begründen.

Eine kollektive Arbeitsweise könnte diesen strukturellen Privilegien ein Ende bereiten und damit wiederum der Kunst in der Aufführung ermöglichen, die Demokratie des Arbeitsprozesses zur Erscheinung zu bringen. Das Publikum wäre eingeladen, einen Versuch zu beurteilen und nicht das unzugängliche Produkt quasimilitaristischer Zurichtung als Schauzirkus ohne ästhetische Wirkung. Die für dieen Zirkus entwickelte Normästhetik ist auf den Versuch nicht anwendbar. Die Rezeption wird an die Personen im Publikum zurückgegeben und vorschriftlos unvorgeschrieben dem jeweiligen Theateraugenblick überlassen. Die Moderne könnte ins Theater zu Besuch kommen.

 

Zum Stück.

Die 5 Bilder sind verschieden lang, sollten aber den gleichen Zeitraum einnehmen. Dementsprechend ist die Geschwindigkeit des Spiels zu beachten.

Station 1. ruhig. dann lebhaft.

Station 2. lebhaft. schnell.

Station 3. sehr langsam.

Station 4. schleppend.

Station 5. ruhig. dann lebhaft.

 

Bühne.

Nackte Bühne.

7 Garderobentische.

7 Stühle.

1 Garderobenständer.

1 Bügeleisen.

 

Personen.

Ursula Grimm, 73.

Genoveva Hintringer, 63.

Helena Toselli, 53.

Christabella Vargas, 43.

Magdalena Ahlen, 33.

Clara Yildiz, 27.

Claribella Wagner-Dimka, 23.

 

1.

In der Garderobe.

 

Leere Bühne. 7 Schminktische mit Spiegeln. 7 Stühle.

Alle Schauspielerinnen außer Claribella. Es ist Tag.

Die Frauen in privater Kleidung. Manuskripte.

 

Adèle steht links vorne. Sie bügelt große weiße Tücher auf einem Bügelladen. Steht mit dem Rücken zum Publikum.

 

Die Frauen sprechen durcheinander.

 

Genoveva. (zu Ursula)

Daß du da bist. Das hätte ich mir nicht gedacht.

 

Christabella.

Wie findet Ihr das Projekt?

 

Helena.

Magdalena. Das ist ja fein. Was hast du denn so getrieben. Warte. Wie lange habe ich dich nicht gesehen…

 

Christabella.

Ich finde es. Also. Ich weiß nicht.

 

Clara.

Weiß eine wie das alles gemeint ist.

 

Helena.

Fragst du schon wieder so viel. Clara.

 

Genoveva.

Ich finde es auch kühn. Aber interessant. Magdalena. Was meinst du.

 

Ursula.

Ich finde es sehr interessant. Die Frau meine ich.

 

Christabella.

Du meinst die Mao Witwe.

 

Helena.

Weiß eigentlich jemand wie man diesen Namen ausspricht.

 

Alle versuchen es.

 

Alle durcheinander.

Tschiang Qing.

 

Genoveva.

Aber alle diese anderen Namen, die die hatte.

 

Alle schauen in ihre Manuskripte.

 

Alle durcheinander.

Li Shuméng. Li Yunhé. Lán Ping. Blauer Apfel. Blauer Fluß.

 

Christabella.

Auf jeden Fall brauchen wir jemanden, der uns die Aussprache beibringt.

 

Clara.

Aber der Text. Das sind doch nur Zitate. Sonst nichts.

 

Helena.

Und jede spielt einen der Namen. Oder?

 

Christabella.

Die hat mit 14 angefangen.

 

Genoveva.

Wie oft war sie nun verheiratet. Oder vielleicht sind die Skandale interessanter.

 

Helena.

Jede Person sollte nach ihren Skandalen beurteilt werden.

 

Christabella.

Dann wirst du ja eine gute Nachrede bekommen.

 

Magdalena.

Ich beneide sie. Sie war eine Schauspielerin, die sich für alle Demütigungen gerächt hat.

 

Genoveva.

Dafür muß man aber nicht Zehntausende umbringen lassen.

 

Clara.

Und foltern, um den Vater von der jungen Frau zu treffen. Das wäre ein Stück. Der Folterkeller und das Büro des Vaters.

 

Magdalena.

Ich sage ja nicht, daß es richtig ist. Ich beneide sie nur.

 

Genoveva.

An wem wolltest du dich denn rächen.

 

Magdalena.

Wir haben doch alle so etwas durchgemacht.

 

Helena.

Na ja. Wir sind ja hier sowieso so eine Art Jagdstrecke.

 

Kurzes Schweigen.

 

Christabella.

Ich wollte nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Eigentlich.

 

Helena.

Ich habe ihn auch ewig nicht mehr…. Wie hätte ich ihn auch sehen wollen. Es war grimmig genug, nicht aus dem Engagement zu kommen. „Ich kann dich nicht gehen lassen. Ich brauche dich.“ Und. „Wir sind doch alle erwachsene Menschen. Wir werden doch einen Vertrag erfüllen können.“

 

Christabella.

Das hat er zu mir auch immer gesagt. „Wir sind doch alle erwachsene Menschen.“ Ich habe dich gehaßt. Helena. Ich habe nicht verstanden, warum du nicht weggegangen bist.

 

Magdalena.

Weil sie ein erwachsener Mensch ist?

 

Christabella.

Ich dachte, du hast keinen Stolz.

 

Helena.

Ich hätte kein Einkommen gehabt.

 

Genoveva.

Aber findet Ihr nicht auch erstaunlich. Das war ungeheuer wichtig. Damals.

 

Helena.

Jeder Augenblick schon eine Erinnerung und die ganze Welt?

 

Christabella.

Und dann? Ich hatte Mühe zu begreifen, wer da anruft.

 

Magdalena.

Ich hätte fast nicht abgehoben.

 

Ursula.

Ich hatte mich immer empört, wenn ich als junge Frau gelesen habe, ein Liebhaber konnte sich nicht mehr an den Namen der Geliebten erinnern. Aber da. Mir ist sein Vorname nicht mehr eingefallen. Zuerst. Ich mußte so herumreden….

 

Magdalena.

Oder es ist das Gegenteil passiert. Ich habe ihn wiedergesehen Zufällig. Er hat da in München eine Oper inszeniert. Ich gehe auf der Leopoldstraße und er kommt auf mich zu. Wir sind aufeinander zu und sofort in die „Vier Jahreszeiten“ eingebogen. Aber es war nur da. Dieses eine Mal. Er hat sich auch danach nie wieder gemeldet. Also. Bis jetzt nicht.

 

Helena.

Bringt er das mit sich. Oder sind wir das?

 

Clara.

Wenn er doch nicht einmal ein besonders guter Liebhaber ist. Darüber sind wir uns doch einig.

 

Genoveva.

Es ist schon die Verfügung. Die Vorstellung, daß er weiß, wie man es machen soll.

 

Helena.

Das ist aber auf unsere Generationen beschränkt. Das ist nicht mehr so. So starkt. Oder?

 

Genoveva.

Na ja. Es stellt sich halt alles heraus. Wenn so viel Zeit vergangen ist.

 

Ursula.

Ach. Da muß einer doch nur sich in die Macht verklammern. Und da helfen ihm alle anderen dabei.

 

Magdalena.

Diese Macht ist mittlerweile. Also. Ziemlich ausgewaschen ist die.

 

Christabella.

Aber er hat uns immerhin alle hier versammeln können.

 

Genoveva.

Ich bin hier nur, weil ich den Job brauche. Und ich lebe hier. Ich muß nicht einmal verreisen.

 

Ursula.

Ist da nicht noch eine Figur vorgesehen.

 

Clara.

Die spricht gerade vor. Also. Sie ist bei ihm im Büro. Deswegen warten wir ja noch.

 

Helena.

Ihr Rucksack ist noch da. Jedenfalls.

 

Kurzes Schweigen.

 

Clara.

Ich habe sie beraten.

 

Helena.

Du?

 

Clara.

Ich gehe nach Hamburg. Mit dem André. Der übernimmt das Kampnagel.

 

Christabella.

Und was hast du ihr für einen Rat gegeben.

 

Clara.

Daß sie kein Problem mit Viagra haben soll.

 

Magdalena.

Ist er? Was! Und das hast du der Claribella gesagt?

Und wo ist die jetzt?

 

Clara.

Bei euch nicht? Halt noch nicht. Da war er ja auch jünger. Der Reihe nach.

 

Magdalena.

Aber das ist doch das Zauberwort. Damit ist doch seine Macht gebrochen. Da wird er sie nicht… Ich meine. Er muß es doch so machen. Oder nicht? Kann er es auch anders und hat uns in dem Glauben gelassen, er könne nicht anders. Und dabei….

 

Kurzes Schweigen.

 

Genoveva.

Ursula. Jetzt sag schon, wie er dich aus deinem Versteck gelockt hat. Du hast doch geschworen, nie wieder auf die Bühne….

 

Ursula.

Er hat halt so. Herumgeredet. Die alten Zeiten. Daß er mich braucht. Daß ich die einzige bin, die das. Dann hat er mich wieder Mümmi genannt. Und irgendwie….

 

Clara.

Mümmi?

 

Helena.

Mümmi?

 

Alle. (durcheinander)

Mümmi? Mümmi!

 

Schweigen.

 

Alle. (Chor. Gelächter. Geschrei.)

Mümmi? Mümmi. Mümmi. Mümmi!….

 

Clara.

Alle? Jede? Er hat. Jede? Einfach jede….

 

Genoveva.

Ja. Ich denke. Jede. Und immer so zwischen Zwanzig und Dreißig.

 

Ursula.

Ja. Das ist so der Zeitraum, den er besetzt. Normalerweise. Wobei. Wir. Also. Das ist schon eine. Eine Freundschaft. Irgendwie. Geworden. Das muß ich schon sagen. Aber wir waren halt auch so jung. Wir haben das so ernst gemeint. Mit dem Theater. Wißt ihr.

 

Helena.

Ich wußte das von den Mümmis. Ich bin da draufgekommen. Da hat er mit dir telefoniert. Christabella. Ich habe dann Schluß gemacht. Nicht, daß ihn das gestört hätte. Er war erleichtert. Ganz einfach erleichtert. Ich nicht…. Und dann konnte ich nicht weg…

 

Christabella.

Da mußte er es nicht machen. Du hast ihm das erspart. Ja. Diese serielle Polygamie. Wir sind eigentlich ein Harem. Hier. Und das ist alles auch so gemeint. Ganz genauso.

 

Magdalena.

Aber mit diesem Projekt. Da geht er schon einen Schritt weiter. Er will aus uns doch nun diese eine Frau machen. Er will uns doch alle in dieses eine Leben hinein. Hineinstopfen.

 

Clara.

Wenn wir das nicht zulassen. Dann kann er doch wollen, was er will.

 

Gelächter. Schweigen.

 

Ursula.

Ach. Clara.

 

Clara.

Ja. Schaut doch nicht so. Vielleicht war das für euch so. Ich. Ich habe ihm gesagt, daß ich jetzt mit dem André zusammen bin und das war ganz friedlich. Es war ja auch nichts mehr…. So richtig….jedenfalls.

 

Christabella.

Er hatte immer schon Probleme. To perform. Wie heißt denn das auf deutsch. Ich lese wegen dieser Madame Mao so viel auf englisch, daß ich mein deutsch verliere.

 

Genoveva.

Ja. Manchmal muß man von diesem Deutsch weggehen. Die Sprache verlassen. Hinter sich lassen. Eine Pause. Und was du meinst, das heißt. (sie googelt und liest vor) to perform. aufführen. Auf einer Bühne. – Das ist das, was wir machen. – Vorführen. Leisten. Funktionieren. Verrichten. Ausüben. Auftreten. Spielen. – Wieder Theater. – Agieren. Erbringen. Vollziehen. Vollbringen. Mitwirken. Wiedergeben. Performen. Leistung bringen. Vollziehen! Würde ich nehmen. Erbringen? Mitwirken? Das trifft auf ihn ja nun sicher nicht zu. Da hast du recht. Er war nie so…

 

Ursula.

Das ist der Vorteil, ihn jung gekannt zu haben.

 

Genoveva.

Du mußt nicht gleich angeben. Mümmilein.

 

Usula.

Selber Mümmi.

 

Alle. (durcheinander)

Selber Mümmi. Mümmilein.

 

Aus dem Durcheinander entsteht ein Chor von Mümmis. Dann langsam und unter Gelächter nach der Melodie des Refrains von „Schnucki, ach Schnucki, fahr ma nach Kentucky“ von Hermann Leopoldi

 

„Mümmi, ach Mümmi, nenn mich noch mal Kümmi. Kümmi mich a Mümmilein. Mümmi mich a Kümmilein. Dann in die Pampas trink ma noch ein Schampas. Morgen wird die Probe sein. Ich glaub ich hab genug.“

 

Der Song beginnt sich zu ordnen. Alle stimmen ein. Dann Chorusline und alle tanzen. Musicalszene. Alle haben Spaß und kommen richtig in Fahrt.

 

Die Tür hinten wird aufgerissen. Claribella kommt herein. Sie schaut den Tanzenden zu. Dann geht sie zu ihrem Rucksack.

Nimmt ihn auf.

 

Die Chrosuline löst sich auf. Alle schauen Claribella fragend an. Stehen Claribella gegenüber.

 

Helena.

Also?

 

Claribella.

Was.

 

Clara.

Na. Hast du die Rolle.

 

Claribella. (schüttelt den Kopf)

Und ihr macht das da. Dieses Projekt.

 

Ursula.

Bis jetzt wissen wir noch gar nichts genaues.

 

Claribella.

Das Leben von Jiang Qing. Die Frau eines Massenmörders und selbst eine Mörderin. Aber das paßt schon zu Euch. Macht das nur. Ihr wißt ja, wie das geht. An der Seite eines mächtigen Manns.

 

Genoveva.

Na. Na. Weil wir eine Mörderin spielen sollen, sind wir noch lange keine selber.

 

Claribella.

Seid Ihr schon. Seid Ihr immer gewesen. Und Ihr macht alles. Ihr laßt Euch umbringen. Ihr mordet. Was immer Euch gesagt wird. Ihr seid alle die Schlampen Eurer Räuber und Eure Moral reicht nicht über Euren Bettrand hinaus. Wörtlich. Das meine ich wörtlich.

 

Helena.

Also hast du dir Rolle nicht.

 

Claribella.

Doch. Und ich hasse Euch dafür. Euretwegen kann ich mein Geld nicht auf anständige Weise verdienen. Ihr habt ihm das alles erlaubt. Ihr seid die Königsmacherinnen und lebt selber als Mägde. Und weil Ihr selber nichts seid, glaubt Ihr, Ihr habt es richtig gemacht. Ihr. Ihr blöden Intendantenfotzen! Ihr. Ihr seid die Säue zu diesem Schwein. Und Ihr wißt es. Grausige Mägde des großen Zauberers. Gehilfinnen im Schlachthaus. Und könnt Euch selber nicht schützen. Müßt Euch selber hassen. Und einander. Ihr macht Euch zum Tisch, auf dem serviert wird. Und bedankt Euch dafür. Nennt das Arbeit. Kunst. Ihr tragt Eure Haut zu Markte und bekommt sie gegerbt zurück. Markiert. Er legt Euch ins Joch und Ihr schleppt ihn weiter. Ich bin die Sklavin nicht. Dazu laßt Ihr Euch machen. Und nennt es Liebe. Ihr wart nie stolz. Ihr wart nie jung. Und ich verfluche Euch.

 

Einige Frauen haben versucht, sich mitleidvoll Claribella anzunähern. Claribella läßt sie nicht an sich heran. Alle treten zurück. Schockiert. Schweigen.

 

Ursula.

Aber. Claribella. Wir haben doch nicht… konnten nicht….

Du weißt ja nichts. Du kannst das nicht verstehen… Oder!

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2.

Vor seinem Haus.

 

Sommerabend.

 

Alle Frauen. Helena ist nicht dabei. Die Frauen tragen rosa Mützen und selbstgebastelte Transparente. Sie kommen von einer Frauendemo. Lehnen die Transparente an. Falten sie zusammen. Alle siegessicher.

 

Transparente:

„Aus einem Funken kann ein Steppenbrand werden“

„Frauenpower Now“

„Das Problem der Frauen sind die Frauen“

„Der Platz einer Frau ist in der Revolution“

 

Christabella.

Ich sehe kein Licht. Irgendwo. Sehr Ihr ein Licht.

 

Clara.

Ich kann nichts sehen.

 

Claribella.

Wenn wir laut genug schreien.

 

Alle lachen und beginnen zu skandieren. Der Chor ordnet sich langsam.

 

Genoveva.

Kommt. Das können wir besser. (sie spsricht vor.)

Nicht Justine. Nicht Juliette.

Karrieren nicht übers Bett.

 

Alle.

Nicht Justine. Nicht Juliette.

Karrieren nicht übers Bett.

 

Lautes Skandieren. Immer lauter. Sie gehen im Kreis. Nehmen die Transparente wieder auf. Gelächter. Eine Flasche Sekt wird herumgereicht.

 

Claribella.

„Aus einem Funken kann ein Steppenbrand werden.“

 

Alle wiederholen den Satz. Schreien. Lachen.

 

Claribella.

„Das Hauptproblem der Erziehungsreform sind die Lehrer.“

 

Alle wiederholen den Satz. Schreien. Lachen. Trinken.

 

Magdalena.

„Die Aufgabe der Kunst und der Literatur ist bisher stets die Enthüllung gewesen.“

 

Alle wiederholen den Satz. Schreien. Lachen. Trinken.

 

Clara.

„Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie an der falschen Stelle.“

 

Alle lachen. Schreien ihre Zustimmung.

 

Magdalena.

„Echte Gleichberechtigung von Mann und Frau kann nur innerhalb des Prozesses der sozialistischen Umwandlung der ganzen Gesellschaft erreicht werden.“

 

Gelächter. Zustimmung.

 

Genoveva. (zu Ursula)

War er wirklich Maoist. Ich meine. Bei mir war er schon etabliert.

 

Ursula.

Nein. Nein. Wir haben einander aus der Maobibel vorgelesen. „Kritik soll zur rechten Zeit erfolgen. Man darf sich nicht angewöhnen, erst dann zu kritisieren, wenn das Unheil passiert ist.“ Und so. Am Ende. Ich habe das ernst genommen. Schon…

 

Genoveva.

Ja. So war das. Ich kannte ja nur noch die Mao Jacken.

 

Ursula.

Die kommen ja immer wieder in Mode.

 

Genoveva.

Ich bin richtig erleichtert. Wirklich. Mir war gar nicht klar, wie sehr mich diese Vorstellung belastet hat.

 

Christabella.

Du meinst dieses Stück?

 

Genoveva.

Ja. Madame Mao! Ich hätte doch die schlimmsten Jahre abdecken müssen.

 

Claribella.

Und wir die frühen. Die Jahre als Opfer.

 

Magdalena.

Die Jugendjahre als Opfer. Und dann die Metamorphose zur Täterin. Wir sollten das Haus stürmen.

 

Christabella.

Wenn alle Frauen, die es schwer gehabt haben, zu Massenmörderinnen geworden wären….

Ursula.

Deswegen unterdrücken sie uns ja. Vielleicht sollten wir dankbar sein. Dafür. Vielleicht.

 

Genoveva.

Wofür meinst du.

 

Ursula.

Keine Gelegenheit gehabt zu haben.

 

Christabella.

Wenn man als Frau keine Gelegenheit gehabt hat. Was rede ich da. Wenn frau als Frau keine Gelegenheit gehabt hat. Das heißt doch nur, daß wir es nicht wissen können.

 

Magdalena.

Und deshalb wissen wir nicht, wie wir wären. So. Als Person. Ohne diese Drangsalierungen. Diese Bedrängungen. Von Anfang an.

 

Claribella.

Es ist alles so klein. So glitschig.

 

Gelächter.

 

Ursula.

Warum machen wir nicht unser eigenes Projekt. Genau aus diesem Wissen. Dieser Erfahrung.

 

Genoveva.

„Die untraumatisierte Frau“ ?

 

Magdalena.

Fast unvorstellbar. Was?

 

Ursula.

Ich möchte so etwas ausprobieren.

 

Genoveva.

Du bist eine Pensionistin. Du mußt nicht mehr Geld verdienen.

Und ich bezweifle, daß wir einen Förderung vom Senat dafür bekommen. Eine Freundin von mir versucht immer wieder feministische Projekte durchzubringen. Da sagen sie ihr, daß sie zu feministisch ist. Meinen tun sie, daß sie zu alt ist.

 

Ursula.

Ach kommt. Wir treiben irgendein Geld auf.

 

Christabella.

Ich kann mir das nicht leisten.

 

Clara.

Ich gehe doch weg.

 

Ursula.

Wenn wir schon alle hier sind. Alle Altersstufen.

 

Genoveva.

Ich habe ihn geliebt. Richtig und wahrhaftig geliebt. Warum fällt mir das jetzt ein. Aber. Ich habe ihm alles geglaubt. Und mit diesem Glauben. Ich war im Himmel. Ich war in Erwartung verwandelt. Bebende, zitternde, selige Erwartung. Ich habe keine Erinnerung an die Zeit mit ihm. Nur an diese Erwartung. Ich habe nur dieses Gefühl der Erhobenheit in Erinnernung. Mein Gesicht ihm zugewandt. Ich muß mir heute noch vorsagen, wie er mich betrogen hat. Ganz genau und Mal für Mal. Damals. Das war die Toselli. Die Helena. Mümmi Drei. Bis heute kann ich es nicht glauben. Ich war dann lange krank. Mein Körper weiß es ohnehin immer besser als ich.

 

Claribella.

Wir müßten schnell handeln. Warum gehen wir nicht einfach ins Theater und fangen an. Warum besetzen wir nicht einfach das Theater und fangen an. Die Proben sind doch ohnehin angesetzt.

 

Ursula.

Und ich setze mich in den Zuschauerraum und sage Euch, wie es wirkt.

 

Magdalena.

Ich kann das machen. Ich mache doch mittlerweile mehr Regie.

 

Genoveva.

Wir sollten alle daran arbeiten.

 

Ursula.

Das meine ich doch.

 

Clara.

Wir können uns doch abwechseln. Ich habe auch Regie studiert.

 

Claribella.

Wir sollten einfach anfangen.

 

Genoveva.

Wäre das nicht so eine Art Therapie. Unsere Art zu töpfern.

 

Claribella.

Aber das wäre doch eine Möglichkeit.

 

Christabella (zu Ursula).

Du würdest uns. Beurteilen?

 

Ursula.

Sollten wir nicht zusammenhalten.

 

Genoveva.

Da. Da. Das Licht. Er kommt. Er kommt.

 

Alle springen auf. Stellen sich zusammen. Bilden eine Traube um den Eingang. Sie skandieren. Rufen die Mao Zitate.

 

Die Tür geht auf. Helena tritt durch die Tür heraus.

 

Alle weichen zurück. Verstummen. Rufen „Du?“ „Was machst du denn da?“ „Bei ihm.“

 

Claribella.

Sie war bei ihm.

 

Magdalena.

Verräterin.

 

Ursula.

Doch Madame Mao?

 

Genoveva.

Was machst du denn bei ihm. Sag doch.

 

Helena.

Ja natürlich. Ich habe ihn getröstet. Er ist sehr unglücklich über Euch. Er ist getroffen von Eurer Einstellung. Er war doch wirklich Maoist. Und ist mit der Mao Bibel in der Jackentasche herumgegangen. Und ihr habt ihn verlassen. Weil ihr das Projekt nicht machen wollt. Mit ihm. Er wollte das alles. Diese Verhältnisse. Er wollte das durcharbeiten. Bearbeiten. Mit Euch zusammen. Das habt Ihr ihm verdorben. Jetzt.

 

Claribella.

Die Magdalena hat recht mit der Verräterin. Das ist doch wieder so eine Verdrehung. Die Opfer als Täterinnen. Das ist doch ungeheuerlich.

 

Helena.

Das ist auch eine Interpretation. Ich jedenfalls. Ich habe eine Rolle. Ihr nicht. Ihr seid vertragsbrüchig.

 

Die Frauen ziehen sich nach rechts zurück.

 

Helena (ruft ihnen zu).

Ich habe sie nicht genommen. Die Rolle, die er. Wartet. Ich mache doch auch nicht mit. Es ist ja nur. Er gehört zu meinem Leben.

 

Claribella.

Und genau das macht dich zur Verbrecherin.

 

Helena.

Ich bitte Euch. Er ist der Vater meines Sohns. Ich kann ihn. Aus meinem Leben kann ich ihn nicht streichen. Und das waren aufregende Zeiten. Er hat mich von drüben herübergeholt. Wir haben diese Geschichte. Ja. Genoveva. Es tut mir leid. Wir haben alles geheimgehalten. Ich habe immer noch das Gefühl, in einem Spionagethriller zu spielen, wenn ich mit ihm zu tun habe. Liebe. Das weiß ich gar nicht. Er ist. Er ist mehr so ein Möbelstück in meiner Erinnerung.

 

Genoveva.

Und in der Lade liegt die Mao Bibel.

 

Helena.

Ja. Meinetwegen.

 

Magdalena.

Warum habe ich jetzt jede Lust verloren. An unserem Projekt.

 

Claribella.

Weil die Kulturrevolution wieder nicht stattfinden wird.

 

Clara.

Altlasten. Immer nur Altlasten. Ich will neu. Frisch. Glatt. Offen. Schön. Ich will schön. Gott im Himmel. Ist das alles elend.

 

Sie geht weg.

 

Claribella.

Alles wie immer. Gleich alles wie immer.

 

Genoveva (wütend).

Ich habe es auch satt. Von Euch Jungen Vorschriften zu bekommen. Wenn du nämlich einmal zu leben beginnst, dann bist du drinnen. Weißt du. Und das. Du weißt nicht, wann das beginnt. Genau. Fang überhaupt einmal an. Dann kannst du mitreden. Was willst du denn tun, wenn einer sagt „Du weißt, daß wir da nicht mehr herauskommen, wo wir jetzt beide sind.“ Und er war nie da. Und du weißt es erst nachher. Und bis dahin kannst du nichts wissen. Ich hätte gar nichts gehabt. Nicht einmal ein Leben. Weil das alles so war. Und da ändert deine Kulturrevolution auch nichts. Weil es vorher und nachher beim Alten bleibt. Irgendwer oben haut denen unten eins drüber. In dem Fall war es halt eine Liebesgeschichte. Aber die hatte ich. Wenigstens.

 

Magdalena (als hätte Genoveva nichts gesagt).

Wir könnten wenigstens unsere Rollen nicht mehr spielen.

 

Clara.

Gretchen umschreiben? Das brächte Faust in arge Bedrängnis.

 

Christabella.

Und erst Mephisto. Dann hat er ja kein Pfand, für das.

 

Clara.

Wir verlangen, daß alle Frauen, die für die Unterhaltung umgebracht werden, daß die alle auferstehen.

 

Claribella.

Die kommen alle aus ihren Zelluloidgräber und Pixelbanken und die ganze Unterhaltung ist futsch.

 

Magdalena.

Ich würde ein Bildverbot von Frauen verordnen.

 

Clara.

Das wäre genug an Kulturrevolution. Frauen und Kinder dürfen nicht mehr abgebildet werden.

 

Ursula.

Und ihre Aura kann nicht mehr mißbraucht werden.

 

Helena.

Nie wieder lächelt dich diese Frau vom Bildschirm an und erklärt dir, daß sie. Sie ganz persönlich. Daß sie beim Lachen und Husten in ihr Höschen pinkelt und daß sie erst wieder lächeln kann, seit sie Pampers verwendet.

 

Claribella.

Oder das dunkelhäutige Baby, das sooo süß ist, weil es gut schläft. Wegen der Windeln.

 

Magdalena.

Wir machen eine Gedenkstätte für alle Frauen, die in Filmen erstochen wurden.

 

Genoveva.

Oder erwürgt.

 

Claribella.

Oder verbrannt.

 

Clara.

Oder erschlagen.

 

Magdalena.

Oder gesteinigt.

 

Christabella.

In den Selbstmord getrieben.

 

Ursula.

Oder mit einem Stromschlag.

 

Helena.

Verhungern gelassen. Verdursten.

 

Claribella.

Zu Tode gearbeitet.

 

Magdalena.

Vergewaltigt.

 

Ursula.

Gehäutet.

 

Christabella.

Erstochen.

 

Claribella.

Keine Medizin.

 

Helena.

Ausgeliefert.

 

Während dieser Aufzählung, die weiter vervollständigt werden sollte, fällt der Vorhang. Die Frauen sind noch lange zu hören, wie sie immer noch eine Sterbensart aufzählen.

 

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3.

Vor dem Schloß.

 

Alle 7 Frauen. Sie tragen dunkle Kopftücher. Sie knieen auf dem Boden. Waschen den Boden. Kübel. Seifiges Wasser. Fetzen.

 

Clara.

Wann kommt er nun. Wann soll er denn kommen.

 

Genoveva.

Wir sollen hier Ordnung machen. Wenn er kommt. Es soll alles vorbereitet sein. Er darf uns nicht sehen.

 

Ursula.

Wenn er zu früh kommt. Wenn wir noch nicht fertig sind. Wenn er uns sehen könnte.

 

Claribella.

Kommt er manchmal zu früh.

 

Clara.

Ist das schon vorgekommen.

 

Claribella.

Wenn das vorgekommen ist, was ist dann geschehen.

 

Clara.

Was geschieht dann.

 

Helena.

Wir müssen uns ganz tief beugen. Wir müssen uns ganz tief auf den Boden beugen.

 

Christabella.

Er darf unsere Gesichter nicht sehen.

 

Ursula.

Wenn er unsere Gesichter anschauen müßte. Er würde darum unglücklich und träfe unglückliche Entscheidungen.

 

Clara.

Ich werde aufschauen. Wenn er kommt. Ich werde aufschauen. Wenn er zu früh kommt, dann will ich ihm mein Gesicht zeigen.

 

Helena.

Das wirst du nicht machen. Dann müssen wir alle in den Strang.

 

Genoveva.

Wir wissen nicht genau, was geschieht.

 

Ursula.

Es ist noch nie vorgekommen.

 

Helena.

Jedenfalls wissen wir nichts davon.

 

Magdalena.

Aber wenn er nun früher kommt. Wir können doch nichts dazu tun.

 

Christabella.

Es soll sehr schön sein. Drinnen.

 

Helena.

Wir dürfen nicht weiter. Wir dürfen nur bis zum Tor.

 

Christabella.

Ich stelle es mir ja nur vor.

 

Ursula.

Es ist besser, keine Vorstellungen zu haben.

 

Christabella.

Ich stelle mir doch nur die Räume vor. Nicht ihn.

 

Magdalena.

Was werden wir tun, wenn er zu früh kommt. Wenn er zu früh kommt, muss er durch den Schmutz gehen.

 

Ursula.

Wir beugen uns über unsere Hände und verbergen das Gesicht.

 

Claribella.

Vielleicht wartet er darauf, daß eine aufspringt.

 

Clara.

Aufspringt und ihm ihr Gesicht entgegenhält.

 

Helena.

Und wir alle bezahlen. Wir alle bezahlen für die Unbotmäßigkeit von einer.

 

Claribella.

Wir sind jung. Wir springen beide auf und er soll eine auswählen.

 

Helena.

Nein. Nur das nicht. Wenn ihr das tut, das ist unser Ende.

 

Magdalena.

Ich kenne keinen Anfang.

 

Ursula.

Es sind die Entscheidungen, die ihn verstimmen. Es sind die Entscheidungen, die er fällen muß, die ihn die Laune kosten.

 

Magdalena.

Vielleicht aber wartet er auf seine Erlösung durch uns…

 

Clara.

… und seine Verstimmung kommt aus dem Warten…

 

Claribella.

… bis eine aufspringt und ihm ihr Gesicht zeigt.

 

Helena.

Wir müssen schneller tun.

 

Genoveva.

Wir müssen den Boden säubern. Wir sollen nicht sprechen.

 

Ursula.

Träume sind da nicht angebracht.

 

Clara.

Aber wenn wir die Regeln befolgen. Es wird immer so bleiben.

 

Magdalena.

Es ist als lebten wir in der Schwebe und trotzdem ist es schwer wie die Welt.

 

Helena.

Schwere Schwebe. Was redest du da.

 

Helena steht auf und stößt die Kübel mit dem Schmutzwasser um.

Aufschrei.

 

Claribella.

Du alte Hexe.

 

Ursula.

Sie versucht Euch zu helfen.

 

Genoveva.

So machst du es immer.

 

Magdalena.

So können wir uns im Schmutzwasser spiegeln.

 

Clara.

Und sehen, wie die Zeit vergeht.

 

Christabella.

Und wir werden den Prinzen sehen. Wir werden nicht fertig werden.

 

Christabella steht auf und stößt die Kübel wieder um. Lacht.

 

Helena.

Macht Euch keine Hoffnung. Er schaut nicht. Er sieht uns gar nicht.

 

Claribella.

Er wird sehen, daß wir nicht fertig geworden sind.

 

Helena.

Er wird einen anderen Weg nehmen.

 

Genoveva.

Dann sehen wir nicht einmal seine Füße.

 

Ursula.

Er muß trockenen Fußs durch das Tor hineintreten.

 

Claribella.

Ich schütte ihm das Waschwasser vor die Füße.

 

Clara.

Dann muß er springen.

 

Magdalena.

Das wird ihn beleben.

 

Clara.

Wir werden aufspringen.

 

Claribella.

Wir werden mit ihm mitspringen.

 

Magdalena.

Wir werden mit ihm davon springen.

 

Claribella.

Wir werden mit ihm durch das Tor davon springen.

 

Clara.

Wir werden mit ihm durch das Tor die Stufen hinauf hinein in den Saal springen.

 

Claribella.

Auf den Thron.

 

Clara.

Dann werden wir ja sehen.

 

Claribella.

Welche er sich aussucht.

 

Clara.

Aber meine Hände sind verdorben.

 

Claribella.

Meine Knie sind rauh.

 

Clara.

Ich werde meine Hände verstecken müssen.

 

Claribella.

Nie dürfte er meine Knie sehen.

 

Magdalena.

Das mit ihm. Das hat sich so ergeben. Das war alles in Einem. Die Liebe und die Arbeit. Das war so eine Atemlosigkeit in allem. Das war so ein Fallen von Einem ins Andere. Eine süße Hast. Daran kann ich mich erinnern. Der beste Liebhaber. Das wohl nicht. Aber ich weiß es gar nicht mehr. So vieles hat sich davorgeschoben. So vieles hat er gar nicht zugelassen. Er hat auch seine Versprechungen nicht eingehalten. Aber da war ich auch schon weg. Von ihm. Er ist heute irgendeiner. Macht hat er nicht. Über mich nicht. Sonst natürlich schon.

 

Ursula.

Ihr müßtet nur lächeln.

 

Helena.

Die zarten Hände und die weichen Knie.

 

Genoveva.

Das spürt ihr nur selber. Er weiß davon gar nichts.

 

Ursula.

Werden wir fertig werden.

 

Helena.

Ich möchte weit weg sein, wenn er kommt.

 

Claribella.

Weil du alt und verbraucht bist.

 

Ursula.

Weil ich so oft dabei sein mußte.

 

Genoveva.

Wenn er so unsicher auftritt.

 

Helena.

Es mag schon sein, daß er Euch einlädt.

 

Christabella.

Ich wußte es. Er ist ein verzauberter Prinz.

 

Genoveva.

Keine ist zurückgekommen.

 

Ursula.

Die Erzählung geht, daß die Gräber gleich hinter der Mauer liegen.

Die Frauen waschen den Boden.

 

Magdalena.

Aus einem Funken kann ein Flächenbrand werden.

 

Die Frauen waschen den Boden.

 

###########

4.

Im Flatratebordell.

 

Pausenraum. Garderobe.

 

Ursula. Genoveva. Helena. Christabella. Clara.

Magdalena und Claribella fehlen.

 

Zwischen Publikum und Bühne ist eine riesige Spiegelwand gedacht, in die die Frauen starren. Immer wieder schauen sie sich in diesem Spiegel an. Kontrollieren. Verbessern.

 

Die Frauen schauen in ihre Handys. Richten sich die Haare.

Genoveva färbt Clara die Wimpern.

 

Englisch wird mit Akzent gesprochen. Regionale Aussprachen tauchen auf. Berlinerisch….. Meist sprechen die Frauen zueinander im Spiegel und nicht einander zugewandt.

 

Im Flatratebordell gehen die Frauen nackt umher. Im Pausenraum tragen sie gleiche weiße Bademäntel. Unter den Bademänteln sind sie nackt (oder tragen Unterwäsche, wenn eine Schauspielerin das lieber mag). Ursula trägt lachsrosafarbene Altdamenunterwäsche. Wenn die Frauen den Pausenraum verlassen, hängen sie die Bademäntel auf Haken auf dem Garderobenständer rechts und gehen nackt (oder in Unterwäsche) hinaus. Sie tragen die gleichen durchsichtigen Plateaustöckelschuhe mit sehr hohen Absätzen. Sie haben immer ihre Handtaschen bei sich. Ihre Zivilkleidung, das sind die Kostüme aus dem ersten Bild, hängt auf dem Garderobenständer.

 

Magdalena kommt herein. Sie zieht ihren Bademantel an. Geht zu ihrem Platz.

 

Magdalena.

In 31 ist die Dusche kaputt.

 

Genoveva.

Ganz?

 

Magdalena holt ihr Handy aus der Tasche. Schaut nur noch auf den Display.

 

Ursula.

Wie hast du denn dann duschen können.?

 

Christabella (zu Helena).

„Education should be the daily bread of the people.“

 

Magdalena.

Gewechselt. 30 funktioniert.

 

Clara.

Einfach so.

 

Helena.

That is out of one of the speeches to university students. Am I right.

 

Magdalena.

Mit Mann und Maus.

 

Claribella kommt herein. Zieht den Bademantel an. Geht auf ihren Platz. Holt ihr Handy heraus.

 

Clara (kann nichts sehen, wegen der Wattebauschen auf ihren Augen.)

Bist das du. Clari?

 

Claribella nickt.

 

Genoveva.

Ja. Das ist die Clari. Mach nur bitte die Augen nicht auf. Clara.

 

Ursula.

Und. Wie ist es. Ich war noch nicht draußen. Heute.

 

Claribella und Magdalena zucken mit den Achseln.

 

Christabella.

That was in 1959. Ursula. That was in your time.

 

Claribella.

Alles wie immer. Alles normal.

 

Magdalena sucht in ihrer Handtasche. Läßt die Handtasche fallen.

 

Magdalena.

Wer hat meine Handcreme. Meine Handcreme ist weg. Wo kann meine Handcreme sein. Bitte!

 

Helena.

It still is the truth. You know.

 

Christabella.

It still is the problem.

 

Genoveva.

Wer soll deine Handcreme genommen haben. Die ist doch in deiner Handtasche.

 

Ursula.

Du hast die Handtasche doch immer bei dir.

 

Claribella.

Vielleicht hast du sie in 31 vergessen.

 

Magdalena.

Erzähl mir nicht, was ich getan habe.

 

Clara.

Sie will dir doch nur helfen.

 

Genoveva.

Willst du unsere geborgt haben. Wir haben eine total biologische.

 

Clara.

Wir haben alles total biologisch. Die Vevi und ich.

 

Genoveva.

Ja. Mein Schatz. Aber behalt die Augen zu. Du weißt, wie es brennen kann, wenn du sie zu früh aufmachst.

 

Clara.

Gib mir deine Hand. Ich bin noch immer nicht….

 

Helena.

„If you tremble with indignation at every injustice, then you are a comrade of mine.“

 

Magdalena.

Ich brauche diese Handcreme. Das ist die, die gut für mich ist.

 

Genoveva.

Geht es noch. Clari? Die Clara kann das nicht so gut aushalten, wenn sie die Augen so verbunden hat.

 

Ursula.

Platzangst?

 

Christabella.

Don’t you think that everything comes out of these memories of territoriality.

 

Magdalena.

Diese Handcreme. Ich kann nicht ohne diese Handcreme.

 

Helena.

Or the revolutions were not radical enough.

 

Claribella.

Müßt Ihr immer quatschen. Ich hätte gerne Ruhe.

 

Magdalena.

Unsere Großverdienerin braucht Ruhe.

 

Christabella.

Not extinguishing enough. You mean?

 

Clara.

Clari. Stimmt das?

 

Genoveva.

Psst. Wenn du redest, dann willst du die Augen aufmachen.

 

Ursula.

Hat sie das schon immer. Diese Platzangst?

 

Clara.

Aber ist das nicht immer der Fall. Daß es zu wenig radikal wird. Von einem bestimmten Punkt an wollen die Leute ein Leben….

 

Christabella.

I dream to be Jiang Qing. She did the right thing.

 

Helena.

And look at China now.

 

Genoveva.

Es will halt niemand mehr für eine Ideologie sterben. Ich finde das richtig.

 

Ursula.

Eine Gruppe ist angekommen. Wir sollen alle….

 

Keine reagiert.

Dann steht Claribella auf.

 

Clara.

Du gehst gleich. Clari?

 

Claribella.

Ich mache mir nichts vor. Während Ihr Euch sträubt und Euch einbildet, daß Ihr widerständig seid. Ihr werdet ja doch hinaus gehen. Nur 3 Minuten später.

 

Genoveva.

Warte auf uns. Es sind nur noch 2 Minuten. Oder? Clara. Wenn wir gemeinsam gehen….

 

Christabella.

Immer wenn wir reden wollen…

 

Helena.

Dabei ist das alles so langweilig wie Haarewaschen….

 

Magdalena.

Ich hasse Haare waschen.

 

Magdalena geht nach rechts. Sie wühlt in der Ecke da. Findet ein Bügeleisen oder ein anderes schweres Instrument.

 

Sie geht an den Spiegel zum Zuschauerraum und zerschlägt ihn mit Hilfe des Bügeleisens. Es klirrt überlaut. Scherben fallen zu Boden. Die anderen schauen zu. Genoveva hält Clara die Wattebauschen auf den Augen fest.

 

Genoveva.

Magdalena hat den Spiegel zerhauen.

 

Ursula.

Wir werden das alle miteinander bezahlen müssen.

 

Christabella.

Ein Sternenschauer.

 

Claribella.

Aus einem Funken kann ein Steppenbrand werden.

 

Helena.

Soll das ein Anfang sein.

 

Clara.

Halt mich. Vevi. Halt mich. Ich habe Angst.

 

Magdalena.

Ich weiß. Aber meine Hände. Ich weiß auch nicht. Meine Hände. Die sind mir wichtiger als meine Möse. Ich brauche diese Handcreme.

 

Claribella (hat einen Spiegelscherben aufgenommen.)

Was für schöne scharfe Kanten.

 

Helena. (ebenso.)

Wie diese schönen scharfen Kanten funkeln.

 

Christabella.

Was diese schönen scharfen Kanten schneiden könnten.

 

Clara.

Ich will das sehen.

 

Genoveva.

Nur noch eine Minute. Mein Schätzchen.

 

Ursula.

Was wollen wir tun. Mit diesen schönen scharfen Kanten.

 

Claribella.

Ich könnte Euch die Kehle durchschneiden. Dann gibt es nur noch mich und ich bekomme alles Geld.

 

Christabella.

„The first thing is to be masters of our destiny.“

 

Helena.

Clari. Du wirst Karriere machen. Mit deiner Haut und deinem Witz.

 

Genoveva.

Und wenn du genug gespart hast, dann kannst du machen, was du willst.

 

Clara.

Wie diese eine da. Aus Australien. Die ist danach Pilotin geworden und hat sich eine Ausbildung in Neuro Linguistic Programming mit ihren Ersparnissen bezahlt.

 

Ursula.

Dann kann sie sich also jetzt selbst ihre eigene Vergangenheit zurechtreden und wenn das nicht reicht, dann fliegt sie davon?

 

Genoveva.

Es klingt wie ein Märchen. Aber so habe ich es gelesen.

 

Ursula.

Am Ende war dann alles vom Geld diktiert. Unabhängigkeit. Das schon. Aber unpassend für die Leidenschaft, wie ich sie gelernt habe. Am Ende. Immer noch Erwartung. Nie Erfüllung. Der Atem für das Tägliche verbraucht. Nichts übrig für Abenteuer. Richtige Abenteuer. Allesumschließende Abenteuer. Meine Auftritte. Immer beruflich. In meinem eigenen Zimmer sitzen. Die Erholung. Marketenderin der Kunst. Der Künstler. Der Kultur. Männerbesatzung. Gruppen. Einzeln. Am Ende habe ich mein Geld als Söldnerin verdient. Verdingt bin ich gewesen und werde keine Pension bekommen. Und wenn alle so leben müssen. Warum ist es dann nicht freundlicher geworden. Fürsorglicher. Kameradschaftlicher. Wenn doch alle in diese Verhältnisse gepreßt sind. Es könnte doch eine große Gemeinschaftlichkeit entstehen. Eine Freundschaftlichkeit, die das alles unterläuft und das Leben schön macht. Gemeinsamer. Irgendwie.

 

Helena.

Apropo gemeinsam. Ich finde das Missionstatement unseres Etablissements immer noch perfekt. Es ist doch die Antwort auf alles.

 

Magdalena.

„Das Etablissement für alle Männer, die es ausschweifend und zügellos lieben und dabei denoch maximal sparen möchten.“

 

Claribella.

Es gäbe auch andere Antworten.

 

Christabella.

Die Halbtageskarte für 109,- Euro inklusive Getränke und viermal Sex.

 

Genoveva.

Claralein. Nur noch eine Minute. Geduld. Geduld.

 

Clara.

Heb mir eine Spiegelscherbe auf. Die werde ich in meine Handtasche tun. Die kann der Metalldetektor nicht finden.

 

Claribella. (hat eine Nachricht auf ihr Handy bekommen.)

Der macht es dringend.

 

Genoveva.

Und wir haben keinen Spiegel mehr.

 

Clara.

Wirklich nur Scherben?

 

Helena.

Jetzt bin ich aber froh, daß ich mir die Lippen nicht aufspritzen lassen habe.

 

Ursula.

Ja. Davon wäre jetzt nichts zu sehen.

 

Christabella.

Wir können uns nicht mehr sehen.

 

Helena.

Wir müssen uns nicht mehr sehen.

 

Claribella.

Wie werden wir wissen, daß wir existieren.

 

Clara.

Wir haben die Handspiegel.

 

Genoveva.

Nur noch ein Minütchen. Meine Süße.

 

Ursula.

Was sagen wir wegen des Spiegels. Man wird…

 

Genoveva.

Er wird! Er wird uns einzeln vorladen und uns ausfragen und wir werden uns verhaspeln und dann dürfen wir es abarbeiten und jede den vollen Preis. So wird das sein. Nein. Mein Kätzchen. Nur noch eine kleine Minute. Die Farbe soll lange halten.

 

Magdalena.

Ich werde die Handcreme verlangen. Dieser Mann. Dieser Kunde. Er muß sie genommen haben. Eine Handcreme.

 

Claribella.

Vielleicht sind ihm seine Hände auch wichtiger als sein Schwanz.

 

Ursula.

Wir müssen hinaus.

 

Christabella.

Und erinnert Euch. Wir sind da für den Mann, der es ausschweifend und zügellos liebt und dabei dennoch maximal sparen möchte.

 

Helena.

Schön, wie er „Es“ liebt und dann möchte.

 

Christabella.

„Die Freiheit und eine Hure sind die kosmopolitschten Dinge unter der Sonne.“

 

Genoveva.

Warte. Das ist aber jetzt nicht Che Guevara.

 

Helena.

Nein. Das ist Victor Hugo.

 

Claribella.

Übersetzt heißt das, daß wir jetzt wirklich hinaus müssen.

 

Christabella.

I go on dreaming to be Jiang Qing and put the broken mirror to good use.

 

Ursula.

Es wird schon teuer werden.

 

Genoveva.

Eine Minute noch. Wir kommen dann schon.

 

Clara.

Vevi. Bist du da. Halt mich fest. Ich will nicht mehr….

 

Die anderen Frauen hängen ihre Bademäntel auf und drängeln hinaus.

 

Genoveva hält lange einen Spiegelscherben in der Hand.

 

Genoveva.

Nur noch eine Minute. Mein Täubchen.

 

Clara.

Spielen wir Tschechov. Mein Mütterchen?

 

Genoveva.

Lass deine Äuglein zu. Mein Taubenhäschen. Hab keine Angst. Schlaf. Du mußt da nicht mehr hinaus.

 

Genoveva zieht den Spiegelscherben mit einem schnellen Schnitt über Claras Hals und schneidet Claras Kehle durch.

Blut sprüht.

Setzt sich neben Clara auf den Boden.

 

###########

 

5.

Im Feenland.

 

Zurück in der Garderobe.

Wie zu Beginn.

Während des Spreches sind die Frauen beschäftigt, sich für ihre Rollen in „Die sieben Prinzessinnen“ von Maurice Maeterlinck umzuziehen und zu schminken.

Ursula spielt den alten König.

Genoveva die alte Königin.

Mgadalena den Prinzen.

Helena, Christabella, Clara und Claribella werden zu den Prinzessinnen.

 

Christabella.

Du bist eben der letzte Erwachsene. Ursula.

 

Ursula.

Die. Die letzte Erwachsene.

 

Magdalena.

Siehst du. Und das ist das Problem. Als erwachsene Frau bist du nicht erwachsen, weil du ein Erwachsener bist. Und als Erwachsener. Da gehörst du zu denen. Wir wollen doch etwas anderes.

 

Ursula.

Aber das wollte ich doch auch.

 

Christabella.

Das ist auch dein Verdienst.

 

Magdalena.

Aber wir wollen da nicht mehr hin.

 

Clara.

Wir wollen nicht mehr erwachsen werden.

 

Claribella.

Wir wissen nämlich, daß das gar nicht mehr möglich ist.

 

Helena.

Ich. Für meine Person. Ich bin MzMezz (Missmiss). In meiner community. Im Internet. Da bin ich eine Katze. Mittlerweile. Da bin ich ein Kätzchen und alle dürfen mich streicheln. Alle und überall. Und so halte ich das aus. Das alles.

 

Christabella.

Ich. Ich habe die Kunst der Selbstbefriedigung auf die Spitze getrieben und chatte mit Gleichgesinnten darüber. So halte ich das aus. Das mit dem Älterwerden. Mit dem Untergang der Welt wegen der Umweltzerstörung. Mit den Männern, die sich sowieso Jüngere suchen. Und kriegen….

 

Genoveva.

Meine Wilma und ich. Wir haben uns noch analog kennengelernt. Mit einem Inserat in der Zeit. Ist das nicht süß. Niveau dachte ich. Das habe ich jetzt. Aber meine Wilma. Die lebt in Innsbruck. Deswegen. Sex. Zwischendurch. Das. Sagt einmal. Ist das Cybersex, wenn wir dabei so skypen.

 

Ursula.

Ich dachte die Clara. Und du.

 

Clara.

Ich lebe jetzt mehr meine heterosexuelle Seite.

 

Claribella.

Und ich mache mich körperlos. Ich bin eine Fee. In meiner community darf ich nur über Liebliches reden. Da bin ich, was ich sein will. Da muß ich mich nicht zeigen und es entscheidet, was die anderen sehen. Ich bin, was ich sage. Eine liebliche Person des Feengeschlechts. Ohne Geschlecht und ohne Haut.

 

Helena.

Es hat sich nämlich keiner meiner Wünsche für mich verwirklichen lassen. Zuerst habe ich gedacht, es liegt an mir. Aber das tut es nicht. Das ist die Regel. Unerfüllt bleiben zu müssen.

 

Ursula.

Aber was wollen wir jetzt tun. Es ist doch…

 

Christabella.

Ich gehe wieder in die Pubertät zurück und bleibe da. Sollen die Regisseure sich doch anstrengen, mir eine Verkörperung abzuringen.

 

Clara.

Wir sind doch alle Kinder geblieben gelassen. Irgendwie dürfen wir doch nur so herumspielen.

 

Magdalena.

Mach das Leuten klar, daß sie nur spielen, wenn sie glauben, sie arbeiten und beherrschen die Welt.

 

Ursula.

Aber nicht kämpfen erspart keinen Schmerz.

 

Christabella.

Manchmal überfällt mich der Satz. „Das soll ein Leben sein!“

Mein Leben.

 

Ursula.

Ist das nicht das vorgeschriebene Schicksal. Dieses Kind Sein Wollen.

 

Magdalena.

Das stimmt schon. Und so gesehen. Wir müßten kämpfen.

 

Helena.

Aber wofür? Da müßte sich doch alles ändern. Alles. Alles. Alles.

 

Christabella.

Aufwärts geht es nicht mehr.

 

Genoveva.

Wenn es so ausschaut. als führte die Straße so endlos an den Horizont. Da gibt es immer schon so eine Abschüssigkeit.

 

Ursula.

Für mich wäre das eine Chance gewesen. Die Madame Mao.

 

Genoveva.

Eine Massenmörderin spielen?

 

Clara.

Du hättest das Ende bekommen. Gefängnis. Krankheit. Selbstmord.

 

Claribella.

Die totale Unwichtigkeit. Nach so viel Macht.

 

Ursula.

Wie der geliebte Vorsitzende sagte, „Das Hauptproblem der Erziehungsreform sind die Lehrer.“

 

Helena.

Aufs Theater umgelegt, wären wir alle weg.

 

Genoveva.

Ich weiß nicht. Unser geliebter Vorsitzender sagt doch auch, „Das Gewehr gebiert die Macht.“ Wir bräuchten nur das Gewehr.

 

Ursula.

Da waren viele Maoisten. Damals. Die waren dann alle erfolgreich. Später. In Film, Funk und Fernsehen. Und im Theater. Natürlich.

 

Clara.

War Don Juan schon ein Maoist bevor man das sein konnte?

 

Helena.

Don Juanismus. Eine Massenbewegung. Elitenwünsche?

 

Genoveva.

Die Maos haben immer die meisten Frauen bekommen. Also?

 

Clara.

„Brennen. Brennen. Brennen. Töten. Töten. Töten.“ Wie langweilig. Wenn das notwendig ist.

 

Magdalena.

Mao sagt aber auch, „Die Aufgabe der Kunst und der Literatur ist bisher stets die Enthüllung gewesen.“ Das hätten wir doch machen können.

 

Christabella.

Kommt. Wir hatten uns schon geeinigt gehabt. Wir können nicht immer von vorne beginnen.

 

Magdalena.

Ich hasse diese Situation. Ich hasse unsere Friedlichkeit. Ich hätte diese Frau gerne gespielt. Wenigstens für ein paar Stunden eine Abenteurerin. Für ein paar Stunden nicht so eingefangen. Nicht so geregelt. Für ein paar Stunden das Geld abgeschafft. Nur das Leben wichtig. Und nicht so verständnisvoll. Soo freundlich. Verständnisvoll wütend. Das hätte ich sein mögen. Und da hätte ich sehen wollen, ob unser aller geliebter Oberliebhaber und Regisseur seine Mümmis so einfach aufreihen hätte können. Was haben wir denn erreicht. Mit unserem sanften Widerstand. Statt einer Massenmörderin spiele ich jetzt eine Tote.

 

Claribella.

Wenigstens spielen wir.

 

Magdalena.

Puppen. Wir spielen Puppen. Wie immer. Und du. Du erzähl mir schon gar nichts. Du willst auch nur einfach eine schöne Puppe sein. Halt mit Identität. Mehr ist das auch nicht.

 

Helena.

Wir haben alle als Prinzessinnen angefangen.

 

Christabella.

Und jetzt enden wir auch so. Ich glaube. Ich werde das aufgeben.

 

Genoveva.

Was meinst du.

 

Christabella.

Das Theater. Ich bin Schauspielerin geworden, weil ich diese Texte sprechen wollte. Ich dachte, ich werde von der Sprache davongetragen. Ich dachte, ich kann mir die Macht dieser Sprache aneignen.

 

Genoveva.

Und. Was wirst du machen? Weißt du das schon.

 

Christabella.

Fernsehen. Wie bisher.

 

Ursula.

Das ist doch auch vorbei.

 

Claribella.

Ihr seid alle vorbei.

 

Ursula.

Ich sicher.

 

Claribella (zu Magdalena).

Und du. Du willst uns doch nur umbringen, damit du deine eigenen Probleme los wirst. Das ist doch immer der Grund. Für Morde. Und für Massenmorde allemal

 

Clara.

Dann ist das mit dem Rassismus erledigt.

 

Magdalena.

Das ist das Schöne an Massenmorden. Ja!

 

Helena.

Ach. Kinder. Können wir uns bitte mit den Problemen jetzt beschäftigen.

 

Christabella.

Es waren alle für den Kompromiß. Es werden „Die sieben Prinzessinnen“ gespielt und die Madame Mao nicht. Das wurde beschlossen, weil wir nicht eine Frau aus uns allen machen lassen wollten.

 

Clara.

Aber es werden nicht einmal 7 sein.

 

Ursula.

Nein. Aber ich als fast schon Tote darf den alten König spielen. Umgekehrte Gerechtigkeit.

 

Genoveva.

Ihr werdet sehr schöne Prinzessinnen sein.

 

Helena.

Schlimmer als alles andere wird das auch nicht.

 

Genoveva.

Ein bißchen hat die Magdalena recht. Nehmen wir doch diesen serielle polygamen Exmaoistenpascha von Regisseurintendant her. Der hat es doch erreicht. Und der war immerhin einmal Assistent von Piscator. Für den ist jetzt zwar auch alles vorbei. Im Theater. Aber. Er hat uns zu dieser allerletzten Produktion überredet und er geht dann zu einem Privatsender und wird Privatberater von diesem Milliardärszampano. Wir alle nicht.

 

Helena.

Was sollen wir aber tun. Begriffen haben wir das alles. Danke!

 

Magdalena.

Den Privatsender stürmen. Eine Stadtguerlla gründen. Am besten wir gründen eine Sicherheitsfirma am Tag und in der Nacht attackieren wir solche Machoeinrichtungen.

 

Christabella.

Solche Privatmilliardäre ein bißchen schrecken. Ach. Die Revolution ist von denen so oft ausgerufen worden und hat uns nie geholfen. Das ist verbraucht.

 

Clara.

Angst hat niemand vor uns.

 

Ursula.

Es sollte Angst längst gar nicht mehr geben. Ich wollte eine andere Welt. Eine ganz andere.

 

Genoveva.

Aber wir haben Angst. Dauernd. Andauernd. Jeden Augenblick.

 

Helena.

Wir wissen gar nicht, wie wir sein könnten. Ohne Angst.

 

Claribella.

Davon versteht Ihr doch gar nichts. Davon wißt Ihr doch gar nichts.

 

Clara.

Wirfst du uns jetzt unsere Privilegien wieder vor. Wie soll das gehen? Wir haben eben auch Angst.

 

Ursula.

Vielleicht sollten wir nicht vergleichen. Jede Angst ist doch unvergleichlich.

 

Genoveva.

Wir müßten doch nur über unsere Väter reden. Dann wüßtest du gleich, daß du nicht recht hast.

 

Claribella.

Mein Vater war gar nicht da. Den kenne ich gar nicht. Der hatte längst eine andere Familie. Dem waren wir gleichgültig. Der hat mich nicht erschreckt.

 

Clara.

Das ist aber doch noch keine Freiheit. Etwas Fehlendes. Kann das frei machen?

 

Christabella.

Mir ist das jetzt alles zu blöd. Diese verkrumpelte Produktion. Statt der 7 Prinzessinnen nur noch 4. Ich glaube….

 

Helena.

… sie wird vertragsbrüchig.

 

Christabella.

Ja. Ich werde vertragsbrüchig. Ganz einfach.

 

Genoveva.

Vertragsbrüchig?

 

Ursula.

Vertragsbrüchig?

 

Helena.

Ich glaub jetzt hat sie’s.

 

Die Frauen sind für das Stück „Die 7 Prinzessinnen“ angezogen.

 

Nach der Melodie von „The rain in spain falls mainly on the plane. I think she’s got it.“ („My Fair Lady“ Musical von Frederick Loewe und Alan J. Lerner nach der literarischen Vorlage von G.B.Shaw „Pygmalion“) wird der Text „Vertragsbrüchig. Vertragsbrüchig. Vertraglich. Ich glaub jetzt hat sie’s. Ich glaub jetzt hat sie’s.“ gesungen. Es wird die Szene aus dem Film nachgestellt. Es wird getanzt. Alle machen mit. Jede kommt an Elizas Stelle. Ein Augenblick großen Schwungs und Selbstbewußtseins.

 

Die Stimme des Inspizienten aus dem Lautsprecher.

Damen 7 Prinzessinnen bitte auf die Bühne.

 

Es wird noch ein paar Mal gesungen „Ich glaub jetzt hat sie’s.“

 

Von nun an nur noch Pantomime.

 

Die Frauen gehen unschlüssig herum. Sie bleiben stehen. Schauen einander an. Sie summen das „Ich glaub jetzt hat sie’s.“ Es beginnt ein kreiseln. Keine will einen Schritt aus dem Kreis machen. Stillstand. Wieder Unschlüssigkeit. Belauern einander.

 

Der Aufruf aus dem Lautsprecher wird wiederholt. Dringlicher.

Dann befehlend.

 

Währenddessen.

Alle seufzen. Setzen sich in Bewegung. Halten still. Sie können zu lachen beginnen und sich im Kreis auf den Boden setzen und dem Lautsprecher zuhören. Ohne Regung sitzen bleiben.

Sie können sich an der Tür drängelnd auf den Weg zur Probe machen.

Sie können aufgereiht stehen bleiben und den Kopf hängenlassend dastehen. Unentschlossen und traurig.

Das entscheiden die Schauspielerinnen untereinander. Wenn keine kollektive Lösung zustande kommt, dann wird das gezeigt.

 

Eine Möglichkeit ist natürlich, wieder von vorne zu beginnen und den Anfang zu spielen.

 

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