Werk.

29.09.2015 · Kolumne.

Eigentlich. Eigentlich sind wir gut vorbereitet.

LiteraturEN Das Literaturmagazin. SWR2.
Erstveröffentlichung: 29.09.2015

Eigentlich. Eigentlich sind wir gut vorbereitet. Ich erinnere mich an Kunstprojekte der letzten 15 Jahre. Die Lehren aus den Balkankriegen waren gezogen worden. Krieg. Bürgerkrieg. Bruderkrieg. Bei Biennalen. In Museumsausstellungen. Bei Filmfestivals. Die Folgen der Gewalt waren aufgezählt und vorgetragen. In Kunst, Film und Literatur war alle Information enthalten. Es konnte gewußt werden, daß es so kommen wird. Obwohl. Es bedarf keiner sehr ausgklügelter Überlegungen, daß die Auswirkungen von mittlerweile 9 Bürgerkriegen zwischen Pakistan und Nigeria irgendwann Europa erreichen würden.

Jetzt gerade. In der Stille des Abends. Das Glas Wein auf dem Tischchen neben dem Lesesessel. Jetzt also. Es stellt sich die Frage, was das alles bedeuten wird. Für uns. Hier. Wenn es nicht mehr um eine Ausstellungsanordnung geht, was Personen einpacken, wenn sie flüchten. Im Magazin „Der Spiegel“ werden die Fotos vom Inhalt von Flüchtlingstaschen gezeigt. Diese Fotos sehen genauso aus wie die von den Kunstprojekten. Daraus muß geschlossen werden, daß alle Kunst nichts als eine formale Schulung gewesen war. Wir können die Welt in formal ansprechende Bilder arrangieren. Inhaltlich bedeutet das alles gar nichts. Und wie die Kirchen schon immer. Die Kunst hat nichts an der Moral ihrer Konsumenten erreicht.

Was aber bedeutet es für eine flüchtende Person, wenn jemand auf sie zukommt und den Inhalt ihrer Tasche fotografieren will. Die fotografierende Person wird mit den Fotografien Geld verdienen. Haben die Personen, die für die Spiegelfotos den Inhalt ihrer Taschen auf dem Boden auslegten. Haben die Geld bekommen. Werden die 500 Flüchtlingskinder im Libanon, denen man Kameras gegeben hat, damit sie ihre Not dokumentieren können. Werden diese 500 Flüchtlingskinder wenigstens eine gesunde Mahlzeit am Tag bekommen. Die Fotos werden ja sicherlich bei Charity Galas irgendwo in Europa oder den USA vorgeführt werden. Immerhin hat die Beschäftigung mit all dieser Kunst dazu geführt, die Frage nach dem Erlös stellen zu können. Wer verdient wieviel woran. Eine Kirche wie die Kunst muß sich immer selbst in Frage stellen können, um aus dieser Frage wiederum ein Kunstprojekt generieren zu können. Dennoch. Die Frage bleibt, was diese Realität nun für die einzelne Person bedeuten wird, wenn unsere Staaten nicht auf Krisen zu reagieren vermögen und unsere Gesellschaften unzusammengefügt darüber wieder in scharf gegensätzliche Gruppen zerfallen. Diese Frage hat die Kunst, die richtig sein wollte, aber sich auch verkaufen sollte. Diese Frage konnte da nicht gestellt werden.

Um die Kunst zu sein, die richtig ist, aber sich gleichzeitig verkaufen kann, mußte der Konsument dieser Kunst demokratisch gedacht werden. Da wurden die Betrachter so demokratisch mitgedacht, daß niemand mehr demokratisch sein mußte. Und die, die nicht demokratisch sein wollen. Die wurden ausgeschlossen. Sanft und unbemerkt. Aber draußen gelassen. Aber es war ja auch von den Demokratisch Gedachten nicht viel mehr erwartet worden als die Bezahlung von Eintrittskarten. Und jetzt stehen wir da. Demokratisch gedacht von einer längst aufgelösten Institution Kunst, deren Betrieb ja doch nichts anderes tat als Demokratisches zu vermarkten. Gestern. Im Tiergarten Schönbrunn. Wir standen vor dem Löwenkäfig. Die Tiermalerin, die gerade eine Skizze von der Löwengruppe oben auf dem Felsen fertig gezeichnet hatte. Was man machen solle, fragte sie. Was man machen solle, wenn die Leute wieder so vernichtend gegen die Flüchtlinge wetterten. Da gibt es wohl wieder nur den Kampf. Da wird jetzt kein Ausstellungsbesuch mehr reichen. Denn. In einer großen Kreisbewegung hat uns der Flüchtlingsstrom den Bürgerkrieg ins Land getragen. Zwar geht es – meistens noch – mittels sprachlicher Auseinandersetzung. Aber Argumente. Die gibt es dann plötzlich nicht mehr. Denn. Jene Bildung, die eine Person in die Lage versetzt, Veränderungen der Welt zu verstehen und verarbeiten zu können.
Diese Bildung wurde ja nun offenkundig nicht für alle zugänglich gemacht. Mit dem Reden. Das ist dann angesichts von Schlagstöcken und einer Medienlandschaft, die die Bilder von Schlagstöcken als Verkaufshilfe brauchen. Das ist dann vorbei. Und. Es ist wirklich ein Ende erreicht. Wieder einmal. Und vielleicht ist es jetzt an der Zeit, sich um die eigene Zeit so zu kümmern, daß es um die eigene Lebendigkeit geht und nicht um den Konsum daran. Vielleicht ist das jetzt endlich das Ende der Kunst und Kultur als wiederum Verkaufshilfe für Immobilien und Fremdenverkehr. Ein kunstvoller Schleier quasi humanitärer Freizeitbewältigung war das. Jetzt geht es darum, der  Erzählung nachzugehen. Kritisch wird das sein müssen. Und politisch. Politisch in dem Sinn, daß es darum geht, das Falsche richtiger zu machen. Und das konkret. Und einzeln. Und klein. Aber. Die gegebene Zeit wird so in Leben verwandelt. Mehr ist nicht möglich.