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03.11.2016

Wahlkampfroman 2016. „So wird das Leben.“ 14. Folge.

Wahlkampfroman 2016.

So wird das Leben.

Vierzehnte Folge.1

Vroni blieb dann im Café Klinik sitzen. Der Toni und die Kristi hatten ins Kino gehen wollen und sich einen Film bei der Viennale anschauen. Die Mia sollte zum Gartenbaukino nachkommen, und der Markus hatte sich angeschlossen. Die Vroni hatte geseufzt und gesagt, sie müsse lernen. „Wißt Ihr, ich habe so viel versäumt wegen dieses Blödsinns.“ Dabei hatte sie ihre Hand gehoben, und alle hatten verständnisvoll genickt.

Die Vroni schämte sich aber dann. Sie saß in der Ecke im Café und schämte sich. Sie hatte ihre Verletzung benutzt, das Mitgefühl der anderen auszulösen. Die Kristi hatte sie gar nicht alleinlassen wollen und wollte den Kinobesuch absagen. Der Markus war sehr traurig geworden, weil er ihr nicht helfen konnte. Dabei hatte sie ihm nur nicht sagen wollen, daß der Meran sie anrufen würde. Dann war das auch dem Meran gegenüber nicht fair, daß sie ihn verheimlichte, obwohl es gar keinen richtigen Grund dafür gab.

Sie saß da und überlegte, wie wegen dieses Überfalls alles in ein Chaos geraten war und sie das Gefühl hatte, in einem wirbelnden Durcheinander zu leben.

Die Vroni hatte dann ein so schlechtes Gewissen, daß sie beschloß, wirklich lernen zu gehen. Sie ging zur Bäckerei „Anker“ in der Halle vom AKH. Auf dem Weg dahin rief sie noch den Toni an und fragte ihn, was sie beim Bäcker für ihn für das Frühstück mitnehmen solle. Der Toni wollte aber nichts. Auf ihre Frage hatte es diese Pause gegeben, und die Vroni konnte sich gleich vorstellen, wie der Toni die Kristi fragend anschaute, während er ihre Frage wiederholte. „Ein Croissant oder ein Kipferl fürs Frühstück?“ Und dann hatte er abgelehnt. „Ich versorge mich schon.“ hatte er nach dem vielsagenden Zögern gesagt. „Warte nicht auf mich. Ja?“

Da fühlte die Vroni sich gleich noch verlorener, und sie kaufte 3 Kipferl für sich allein. Sie wünschte sich, sie wäre mit den anderen mitgegangen und hätte sich nicht selbst ausgeschlossen. Wenn der Toni jetzt etwas mit der Kristi anfing. Wahrscheinlich war ihre Eifersucht der Grund dafür gewesen, daß sie nichts von Meran gesagt hatte. Dann mußte sie sich aber zugeben, daß es wegen dem Markus gewesen war und daß sie nicht gewollt hatte, er müsse vermuten, daß sie noch mit dem Meran zusammen war. Denn das wußte sie selber ja gar nicht, und dieser Gedanke machte sie noch trübsinniger.

Sie stand mit dem Sackerl mit den Kipferln in der Hand in der Halle und überlegte, ob sie in die Wohnung vom Onkel Franz fahren sollte oder durch die Stadt in den 3. Bezirk hinüber zu Fuß gehen. Eine ältere Frau saß auf einer der Bänke am Rand der Halle. Vroni hatte nur so vor sich hingeschaut. Die Frau streckte den Kopf vor und schaute Vroni von unten ins Gesicht. „Es geschieht ja nichts mehr.“ sagte sie zu Vroni und stand auf.

Die Frau stellte sich vor Vroni auf. „Schauen Sie sich doch um. Dieses Krankenhaus zerfällt. Alle Krankenhäuser zerfallen. Dafür gibt es kein Geld. Aber für die Neger. Für die schon.“ Sie zeigte auf eine Gruppe dunkelhäutiger Männer. „Da. Schauen Sie. Denen geht es gut. Denen geht es besser und uns geht es schlechter. Meine Rente. Ich bin jetzt fast 80. Wenn das so weitergeht, dann werde ich mit 83 erschossen, weil die das Geld für mich nicht ausgeben wollen. Und Sie.“ Die Frau trat noch einen Schritt näher an Vroni heran. „Sie werden gar nichts kriegen. Weil sich nichts ändern wird. Nichts wird sich ändern und immer wird alles noch schlechter werden. Ich kann nur hoffen, daß dieser Höflein gewinnen wird. Dann wird es endlich wieder besser werden. Da werden Sie schon sehen. Da werden wir alle wieder wissen, wohin wir gehören. Und die da.“ Die alte Frau zeigte auf eine Kopftuchträgerin. „Die. Die werden das dann auch zur Kenntnis nehmen müssen.“

Vroni machte einen Schritt zurück, um den Atem der Frau nicht so direkt ins Gesicht zu bekommen. „Aber was fehlt Ihnen denn.“ fragte sie die alte Frau. „Geld.“ sagte die. „Geld. Zum Beispiel. Wie soll ich mit der Mindestrente auskommen? Und dabei habe ich alles gemacht. Für den Mann gesorgt. Die Kinder großgezogen. Die Enkel betreut. Gearbeitet. Ich habe meinen Teil erledigt, aber das gilt ja alles nicht.“

Vroni überlegte. Sie kannte sich nicht so gut aus, wie das mit den Pensionen war. In ihrer Familie hatten die Frauen immer gearbeitet und bekamen ihre eigenen Pensionen. Das war nicht so viel, und es klagten alle. Und die Tante Roswitha hatte sogar ausgerechnet, daß eine Person, die heute ihre Pension antreten mußte, nur mehr die Hälfte des ehemaligen Einkommens erwarten konnte, und dabei war man früher von mindestens 75% dieses Einkommens ausgegangen. Die Tante Roswitha hatte auch gemeint, daß das immer schlechter werden würde, daß aber die private Vorsorge auch keinen Sinn mache, weil die Lebensversicherungen alle ohnehin pleite wären, und der deutsche Staat zum Beispiel Gesetzte geändert hätte, damit die Versicherungen ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen mußten. „Wer braucht Einbrecher, wenn es den Staat gibt.“ hatte die Tante Roswitha gesagt und daß es seit der Finanzkrise 2008 endgültig mit dem Sozialstaat vorbei sei.

Vroni sagte zu der alten Frau, „Ich kenne mich nicht aus, wie das ist. Mit den Pensionen.“ „Kinderl.“ antwortete die Frau. „Kinderl. Da muß man sich nicht auskennen. Sie machen alles wie es richtig ist und am Ende ist es trotzdem falsch.“ Die Frau setzte sich wieder und schüttelte den Kopf als wundere sie sich noch immer. „Wir brauchen neue Männer.“ sagte sie und schaute zu Vroni auf. „Warum machen Sie nicht etwas?“ fragte Vroni. „Warum gehen Sie nicht in die Politik?“ Die Frau schüttelte den Kopf. „Das müssen die Männer machen.“ sagte sie. jetzt schüttelte Vroni den Kopf. „Aber Sie sind doch nicht zufrieden damit, wie es ist. Dann ändern Sie das doch. Sie kennen die Probleme und wissen, was gemacht werden müßte.“

Vroni schaute die Frau genau an. Die Frau trug einen roten Anorak und dunkle Hosen. Ihre Haare waren kastanienrot gefäbt. Der dunkelrote Lippenstift verrann in die Falten rund um den Mund. Diese Frau sah nicht arm oder heruntergekommen aus. Sie war nur schrecklich wütend. Noch wie sie dasaß, schien sie vor Wut zu glühen. „Und dann will dich niemand mehr sehen.“ sagte sie. Vroni wiederholte ihre Aufforderung. „Gehen Sie doch in die Politik. Dann würde die Politik von den Leuten gemacht werden, die mit dieser Politik leben müssen.“

„Nein. Nein.“ Die alte Frau schüttelte wieder ihren Kopf. „Das muß dieser Höflein machen.“ „Der wird sie nicht retten.“ rief Vroni verzweifelt. Sie dachte, daß es um die Einsamkeit dieser Frau ging. Warum saß die an einem Abend in der Halle vom AKH und sprach wildfremde Menschen an. „Das macht mir gar nichts.“ sagte die alte Frau. „Der Höflein. Der wird wenigstens alles anders machen. Der wird es denen zeigen.“

Vroni ging. Sie grüßte die Frau und ging. Es war wohl so, daß die Lebensentscheidungen dieser Frau sich am Ende als falsch herausstellten. Das war ja für viele Frauen so. Über die Altersarmut von Frauen wurde immer nur so nebenbei geredet. Wahrscheinlich hatte sich der Mann dieser Frau am Ende noch scheiden lassen, und sie war nicht in der Lage gewesen, beim Scheidungsprozeß einen Unterhalt herauszuschlagen. Sie hatte die ganze Liebesarbeit erledigt und deswegen nicht so viele Stunden in der Woche arbeiten können. Da kam am Ende die Mindestpension heraus. Dieser Frau mußte das wie eine Strafe für ihre guten Taten vorkommen. Aber es deswegen den anderen „zeigen“ lassen. Warum sprach es niemand offen aus, daß Frauen, die sich für die Familie, also für den Mann, entschieden hatten, damit einen Fehler gemacht hatten. Warum wurde immer noch über die Wahlfreiheit für Frauen geredet, wenn sie am Ende mit der Mindestpension wirklich betrogen dastand. Vom Staat mitbetrogen, der ein solches Scheidungsrecht über die Frauen verhängt hatte. Das war häßlich.

Vroni ging sehr schnell weg. Sie wandte sich von der Frau ab und ging in Richtung Haupteingang weg. In der Eile rempelte sie einen Mann an. Vroni murmelte „Entschuldigung.“ und wollte weiter. Da spukte der Mann vor ihr auf den Boden. Die Vroni war so entsetzt, daß sie gerade noch sehen konnte, daß das ein Afrikaner gewesen war, der da gespukt hatte, so schnell lief sie davon. Ein anderer Mann riß den Afrikaner zurück und rief, „Entschuldigen Sie.“ Aber die Vroni konnte nur noch weg. Sie lief zur U-Bahn. Ihr Gesicht brannte vor Scham. Diese Frau fühlte sich jetzt sicherlich nur noch mehr bestätigt. Das war alles schrecklich. Die Vroni wollte nur weg.

Um 10.00 Uhr saß Vroni im Wohnzimmer vom Onkel Franz. Sie wartete auf den Anruf von Meran und war traurig. Ihr war so viel zugestoßen. Sie hatte diesem alten Mann gegen diese Schläger einfach helfen wollen, und ssie hatte so teuer mit der Verletzung ihrer Hand dafür bezahlt. Meran wollte Demokratie und Frieden und hatte deswegen die Türkei verlassen müssen. Er hatte mit seinem ganzen Leben dafür bezahlen müssen und war jetzt ein Flüchtling geworden. Die Vroni fühlte sich wie die Nußschale auf dem Ozean. Sie hatte sich nicht einmal vorstellen können, daß sich das Leben so anfühlen könnte. Einen Augenblick lang verstand sie diese Frau aus dem AKH. Sie fühlte sich verloren und nutzlos und ausgeschlossen. Zurückgelassen, fühlte sie sich. Einen Augenblick lang konnte sie sehen, wie befriedigend die Vorstellung sein konnte, daß andere gezwungen wurden, sich ebenso elend fühlen zu müssen.

Aber das machte Vroni dann endlich wieder wütend. Es machte sie wütend, daß all die Umstände rundherum sie dazu brachten, diesen Augenblick des Verständnisses von Sozialsadismus zu durchleben. Sie mußte aufstehen und im Zimmer auf und ab gehen, so empört machte sie das. Sie holte das Handy und begann Markus zu texten, ob er mit ihr am nächsten Tag zur Polizei mitkommen könne und ihr bei der Anzeige von diesem Sven Mitterer beizustehen. Da läutete das Telefon. Auf dem Display war die Vorwahl der USA zu sehen. Meran rief an. Vroni zögerte.

1. Diese Folge ist Sanaa und Hajar in Marokko stellvertretend für alle Personen gewidment, die ihr Geschlecht selbstbestimmt leben wollen. Die beiden Teenager wurden beim Küssen auf einem Dachgarten fotografiert. Die Fotos von den jungen Frauen wurden einer der Familien zugespiel. Die Familie benachrichtigte die Polizei. Sanaa und Hajar wurden noch am selben Tag verhaftet und sitzen in Untersuchungshaft. Morgen, Freitag, 4. November wird ein Gericht über sie urteilen. Unter dem Artikel 489 des Strafgesetzes erwarten sie Strafen von 6 Monaten bis 3 Jahre für „unnatürliche Akte zwischen Personen des gleichen Geschlechts“.