Werk.

18.10.2019 · Vortrag.

Integration. So.

18.10.2019

Dieser Text wurde bei der 10. Tiroler Integrationsenquete am 23. Oktober 2019 von Marlene Streeruwitz vorgetragen.

 

 

Unlängst. Im vergangenen Sommer. Es war ein Sonntagabend auf einer Terrasse. In Wien. Es war einer der so heißen Tage gewesen. Es gab Limonade und Prosecco.

„Das Beste wäre, sie brächte sich um.“

Die Frau sagt das mitleidig vorwurfsvoll. Die Frau, die diesen Satz gesagt hat. Sie ist die zweite Frau des Vaters der jungen Frau, für die sie findet, daß der Suizid das Beste wäre. Der Vater der jungen Frau. Er wiederum ist der zweite Mann der so sprechenden Frau. Er schaut zu Boden und nickt. Traurig. Das schon. Aber bestätigend. Er. Der Vater. Er entwirft keine Zukunft mehr für seine Tochter, die er in die Welt geholt hat. Er hat sich entvatert.

Die umgebenden Personen. Verwandte und Freunde. Auch sie schauen starr. In den leeren Blicken schon die Auslöschung des Lebens der jungen Frau. Denn. Alle sind sich einig. Ein solches Leben. Es macht ja keinen Sinn. Die junge Frau, um die es sich handelt. Die Diagnose Anorexie. Die langen Klinikaufenthalte. All die Probleme, die die anderen mit ihr haben. „Nein wirklich. Sie ist ja nicht glücklich. So.“ sagt der Vater dann. „Ihr Leben hat überhaupt keinen Sinn. So.“ Die umgebenden Personen. Der Vater. Die Stiefmutter. In dem „So.“ des Nicht Glücklich Seins der jungen Frau. Das Urteil wird begründet. Es ist ein Todesurteil.

Nun. Wir wissen, daß Personen in Krisensituationen alle Gedanken durchdenken. Auch solch aggressive Impulse. Oder vor allem solch aggressive Impulse. Überforderung. Ungeduld. Lange gehegte Gefühle. Der eigene Platz. Die eigene Zukunft. Das immer schon vorhandene Gefühl der Benachteiligung. Lebenshunger. Geschwisterneid. Angst. Verachtung. Haß. Was die anderen sagen. Denken. Meinen. Ein solches Wirrwarr der Motive fassen wir ja in der Bezeichnung Krise zusammen.

Die Personen auf der Terrasse. Obere Mittelschicht. Akademiker. Akademikerinnen. Die meisten würden in die Kirche gehen. Manche gehen. Die Gruppe auf der Terrasse. Sie definiert sich einen Augenblick lang in der Einigkeit des Urteilsspruchs über die junge Frau in der Psychiatrie.

Der Wert des Lebens. In dem „So.“ der Aussage „Sie ist ja nicht glücklich. So.“

ist der Wert dieses Lebens insgesamt beschlossen.

„So.“ Das ist ein Modaladverb zur Bezeichnung der Art und Weise, des Grads von Quantität und Intensität und zur Bezeichnung eines hohen Grads und eines hohen Maßes. Hier ist dieses „So.“ in der Funktion eines Demonstrativpronomens eingesetzt und weist auf die besondere Beschaffenheit und Art einer Person oder Sache hin. „So.“ das bezeichnet eine durch Kontext oder Situation näher bestimmte Art und Weise eines Vorgangs oder Zustands und bedeutet „auf solche Weise, in, von dieser, solcher Art“.

Allen Personen, die auf der Terrasse im Sommer in Wien diesem „So.“ zustimmten, schien gemeinschaftlich klar zu sein, welche Art und Weise von Leben in diesem „So“ gemeint gewesen war. Wie in diesem „So“ das Nicht Glücklich Sein der jungen Frau so ausgedrückt war, daß alle zustimmten, der Suizid dieser jungen Frau wäre eine gute und richtige Lösung. Immerhin hatte die zweite Frau des Vaters aber den Irrealis verwendet. „Es wäre besser.“ hatte sie gesagt. Immerhin. Der Konjunktiv II ist dazu da, Ereignisse zu beschreiben, die nicht real stattgefunden haben. Ein solcher Irrealis kann aber natürlich aus den nicht real stattgefundenen Ereignissen einen Wunsch konstruieren, die Ereignisse hätten stattgefunden. Längst. Und man müßte nur noch im Nachhinein reden.

Was erzählt eine solche Episode über unsere Kultur.

Und. Diese Episode ist keineswegs ein Einzelfall. Immer wieder waren solche Urteile über das Leben anderer zu hören. Mir sind Sätze wie „Es wäre besser, er wäre gestorben.“ und „Das ist doch kein Leben mehr.“ noch gut in Erinnerung als mein ältester Bruder in ein Koma verfiel. Das wird nicht herzlos geäußert. Die Sprecher und Sprecherinnen solcher Sätze sind immer von der Tragik der Ereignisse ergriffen. Sie sprechen in betont fester Weise, ein Zittern der Stimme zu überspielen. Diese Festigkeit kann auch eine Trotzigkeit ausdrücken. Aus der Überzeugung, in einer ethischen Überschreitung nun endlich eine Wahrheit auszusprechen, kann diese betonte Festigkeit in der Stimme von einem drohenden Blick begleitet werden. „Versuch nicht einmal, darüber zu diskutieren.“ sagt dieser Blick und vollstreckt das Urteil. Und. In mehrmals verdrehter Weise repräsentiert das Drohende der Performation einer solchen Aussage ein für den Sprecher oder die Sprecherin revolutionär empfundenes Element des Widerstands gegen ein vages Oben. Gegen ein hierarchisch gedachtes Oben, das in der Drohung verändert wird. Die Oben. Die da. Selbst entworfene moralische Einschränkungen von Denen da werden wiederum selbstentworfen aufgesagt. Da es keine Vereinbarung auf die demokratischen Grundrechte gibt, die die Ethik einer solchen Entscheidung einordnen ließen. Es werden selbstgebastelte Kleinrevolutionen vorgetragen und damit wiederum die demokratischen Grundrechte in Frage gestellt. Verdrehungen sind das, die sich eben nur noch auf gerade Empfundenes verlassen. Verdrehungen sind das, die jede paternal function einer Öffentlichkeit aufgegeben haben. Das sind Verdrehungen, wie sie unsere Welt gerade regieren, wenn Donald Trump als oberster Hausvater seine, wie auch immer aufsteigenden Impulse entlang twittert. Das ist das Toben eines kleinbürgerlichen Hausvaters am Sonntagsmittagstisch, wenn er gegen alles und alle, die ihn einschränken wettert und seine Versagen in der äußeren Welt mittels Verfolgungswahntheorien rationalisiert.

Aber zurück. Was erzählen solche Episoden über unsere Kultur.

Was läßt sich ableiten, über das, wohin eine Person sich hineinintegrieren sollte. Schließlich war in diesem „So.“ die Grundidee der gesamten Art und Weise des akzeptablen Lebens ausgedrückt gewesen. Des Lebens „So“, wie es hier gelebt werden soll.

Zunächst wird deutlich. Es gab auf dieser Terrasse keinen Wert des Lebens an sich. Der Satz „Jedes Leben zählt.“. Und. Das ist der Gründungssatz der Lebensphilosophie und der Friedensbewegung. Ich habe ihn als Grundsatz aus meiner Schulzeit in Erinnerung. Dieser Satz war die positive Übermalung der nichtberichteten Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts. Eine verlegene Reaktion auf die unberichtbaren Schrecken. Dieser Satz aber ist Voraussetzung und Grundlage und Ergebnis der Menschenrechtserklärung. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Vor diesem Satz, während dieser Erklärung und als Ergebnis davon muß der Satz „Jedes Leben zählt“ eingesetzt werden. Die europäische Menschenrechtskonvention ist seit 1964 in Österreich in Verfassungsrang gültig. Aber. Gilt dieser Satz in unserer Kultur. Gilt dieser Auftrag in unserem neoliberalisiert postkatholischen Österreichischen. Auf der Terrasse. Im gelebten Leben. Da galt er nicht.

Nun. Wer hatte es übernommen, dieses „So“ zu definieren.

Es war der Vater der jungen Frau gewesen, der im Kreis von Familie und Freunden das Urteil verkündete. Seine zweite Frau hatte diese Verkündigung eröffnet. Sie hatte schon in seinem Sinn gesprochen.

Unlängst. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde mir die Frage gestellt, warum in Österreich so viele Frauen zu Hause bleiben, in Teilzeit arbeiten und unglaubliche Nachteile für ihre Altersversorgung in Kauf nehmen. Die Antwort darauf lautet, daß Frauen so leben, weil sie sonst keine Frauen wären. Daß die Frau nur dann als Frau anerkannt ist, wenn sie diesen sozialen Negativkatalog lebt und angibt, damit glücklich zu sein. Eine ÖVP-Frau geht dann noch in die Kirche und erzieht die Kinder zum Katholizismus. Eine FPÖ-Frau ist stolz darauf, einen Mann zu haben. Immer erhöhen diese österreichischen Frauen die Männer darin. Sie ermöglichen eine selbstverständliche Privilegierung des Manns. Jeder Mann. Und wäre er noch so reformiert. Er ist in jedem Fall selbstverständlicher Gewinner in dieser Politik der kulturellen Benachteiligung der Frauen. Die weibliche Geschlechtsidentität bildet sich aus der Benachteiligung. Sie wird auf allen Ebenen und allen Bereichen des Gesellschaftlichen als selbstverständlicher Zustand des Weiblichen vermittelt. Die Benachteiligung ist normal. Normalität ist das Bollwerk dieser Benachteiligung.

Zitat. „Von der Sorgfalt, die Privatkräfte, gegen die Kräfte des Staats in einem untergeordnethen Ebenmaaße zu halten“. So ist das 3. Kapitel in Joseph von Sonnenfels Staatstheorie „Grundsätze der Polizey“ überschrieben. Das war 1776 und im Auftrag von Maria Theresia. Der Bürger mußte in die Lage versetzt werden, die vom Staat verschriebenen Aufgaben als Beamte und Militärs zu erfüllen, oder über Handel Abgaben für den Staat zu generieren.

Wir müssen uns erinnern, daß die aufklärerische Konstruktion dieser Figur des Bürgers in der Monarchie einen inneren Widerspruch mit sich brachte. In Cisleithanien. Die erastianische Katholizität erzwang, den Staat und die katholische Kirche ineinander zu denken. Der katholische Glaube sollte den Mann in die Erfüllung der staatlichen Anforderungen binden. Es war göttliches Gebot behauptet worden, das dem Haus Habsburg das absolutistische Regierungsrecht überantwortet hatte. Nun war das Glauben im 16. Jahrhundert endgültig ein Politikum geworden gewesen und hatte über das Leben entschieden. Aufklärerisches Denken mußte aber aus diesem Glauben heraustreten, um die kameralistischen Probleme des Staats erkennen und lösen zu können. Das führte in Österreich ohnehin nicht zu intellektuellen Höhenflügen und Wissenschaft, Künste und Philosophie blieben gezielt provinziell unterworfen. Aber. Die für die Wirtschaft und den Staat erforderliche Bildung der Bürger trug die Möglichkeit in sich, auf andere Gedanken zu kommen. Ein ausgeklügeltes System von Zensur und Kontrolle sollte deshalb für den staatlichen Frieden sorgen. Es beschreibt die Absichten des aufgeklärten Staats wenn 1774 die allgemeine Schulpflicht eingeführt und 1776 die theresianische Polizeiverfassung erlassen wird. Und immer. Nachwuchs war notwendig. Kriege, Seuchen und konfessionelle Vertreibung. Ganze Landstriche waren entvölkert gewesen.

Der Bürger wurde zum Hausvater konstruiert. Der Bürger wurde in den Hausvater privilegiert und in dieser Rolle in die staatliche Nützlichkeit eingespannt. Sein Geschlecht ist ihm als Privatheit überlassen. Seine Männlichkeit ist die Quelle seiner Macht in der Familie und Erfüllung seiner staatlichen Aufgaben. Von 1811 bis 1975 war der Hausvater im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch in Abschrift des Code Napoleon niedergelegt. Er ist der Herrscher seines Kleinstaats im Staat. Er soll vor allem Kinder zeugen und versorgen. Peuplierung heißt das damals. Biopolitik nennen wir das heute. Die Frauen waren ins Private verbannt, dem Mann nachgereiht. Untergeordnet. Die Kinder waren in der dieser hierarchischen Familie noch eine Stufe tiefer gereiht.

Die katholisch-romantische Vorstellung von Liebe als Gattenliebe. Die sentimentale Familie begründend. „Er atmet. Sie atmet in ihm.“ wie das Friedrich Schelling für die Romantik Anfang des 19. Jahrhunderts formulierte. In unserem Beispiel. Die zweite Frau des Vaters. Sie hat in ebendiesem Sinn für ihren Mann gesprochen. Das klingt romantisch. Aber. Eine gemeinschaftliche Meinung. Hinter dem vagen „es wäre besser“ verborgen. „Es“. Damit wird ein Gleichsetzungssatz begonnen, der auf vorausgehende, in diesem Fall vorausgedachte Sinneinheiten verweist. Auf gemeinschaftlich gedachte Sinneinheiten. Wieder ist in einem so winzigen Wort die gesamte Art und Weise des Regelvollzugs enthalten. Und. Die zweite Frau des Vaters macht sich zur Sprecherin der gemeinschaftlichen Meinung. Diese Form der Gemeinschaftlichkeit wird als Norm gedacht. Und applaudiert. In diesem Fall muß die gemeinschaftliche Weise ja die Scheidung von der ersten Ehefrau und die zweite Heirat beglaubigen. Demokratischerweise. Ein schönes Ich, das eine eigene Meinung ausdrückt. Und wäre es dieselbe. Das schöne Ich einer Frau. Es machte sie zur Feministin und muß dann aus der gemeinschaftlich gefaßten Meinung den Feministinnen gegenüber nicht einmal mehr wahrgenommen werden. „Ach. Du bist eine Feministin.“ heißt es dann. „Du mußt das so sagen.“ Hegemonie. Das ist allgegenwärtig wirkende Macht.

Der Hausvater. Andererseits. Die Privatheit des cisleithanischen Hausvaters wurde staatlicherseits der katholischen Kirche unterstellt. Der Hausvater wird also seinerseits durch die Kirche regiert. Der katholische Glaube begründete die hausväterliche Identität des cisleithanischen Manns. Das führte dazu, daß die Frage der Ehescheidung zur grundlegenden Frage in der Innenpolitik der Monarchie und der Ersten Republik wurde. Das Verbot der Ehescheidung. Die dunklen Wolken, die über den letzten Jahren der Monarchie lagen. Das Dunkel beschreibt die Überwältigung des Manns durch die katholischen Kirchengesetze und das Lebenslänglich, das eine Eheschließung damals bedeutete. Das Private des Manns war in Kirchenbesitz. Die Unveränderbarkeit dieses Zustands. Erinnern wir uns an die vielen Konkordate, die das bewerkstelligten. Und. Es ist in der Logik der Weiterführung dieses Regimes über die Männlichkeit zu sehen. Es ging um die Privatisierung des Privaten des Bürgers, worüber die Innenpolitik Cisleithaniens tobte und das Parlament der Ersten Republik sich nicht einigen konnte. Und. Es war das Ehegesundheitsgesetz des Nationalsozialismus nach dem Anschluß 1938, das die Ehescheidung überhaupt ermöglichte. Anderswo. Die Frage, wie Männer leben sollten. Diese Auseinandersetzung führte zu Revolutionen. Aber. Wie gesagt. Erst 1975 wurde die Hausvaternschaft des österreichischen Manns aufgekündigt. Dieser Schritt. Er hätte Gleichberechtigung einführen können. Aber. Die so ungleiche Verteilung der Ressourcen und der Unwille, mit der Gleichberechtigung des Manns auch die männlichen Privilegierungen zu beenden. Es hätte ja auch zu einem großen Platzmachen führen können. Eine Emanzipation des Männlichen. Es hätte einen Willen geben können, von Seiten der Männer die Formel der gleichen Rechte und gleichen Pflichten ernst zu nehmen. Aber. Das „So“ eines österreichischen Männerlebens war und ist so selbstverständlich das modellbildende Ideal des im Privaten alles bestimmenden, daß ein Bewußtsein davon bis heute nicht hergestellt ist.

Diese unbewußte Hausvaternschaft des österreichischen Manns. Sie bildet in dieser selbstverständlichen Weise die Identität von Männlichkeit. Diese österreichische Männlichkeit steht allen Männern zu Verfügung. Allerdings wird sie auf ständische Weise reproduziert. Ganz in der Nachfolge der Sonnenfelsschen Staatslehre.

Der hausväterliche Mann erhielt sich bis heute, in der sogenannten „Wahlfreiheit“ der Frau, die Hausvaternschaft. Diese Erbschaft aus der Monarchie. Sie beschreibt an der Lebensführung der Frau den hausväterlichen Mann. Und. Wie immer wenn es um Geschlechterpolitik geht, wird bestimmt, wie Frauen leben sollen, um Männlichkeit herzustellen. Wir sind wieder bei den Identitäten angelangt. Und dabei, wie das „So“ sich kulturell von den geltenden staatlichen Bedingungen unterscheidet. Während die österreichische Verfassung Gleichheit und Gleichberechtigung vorschreibt, ordnet die Lebenskultur die Umstände vollkommen anders.

Natürlich sind diese lebenskulturellen Umstände heute vordergründig entspannt. „Locker“ würde das genannt werden können. Die Gesellschaft auf der Wiener Terrasse. Kaum einer oder eine war noch mit dem ersten Ehepartner oder der ersten Ehepartnerin zusammen. Die Demokratisierung des Familienrechts wird für die serielle Polygamie des Manns durchaus angenommen. Diese Demokratisierung bleibt aber im Formalen. Denn. Die vererbten Geschlechteridentitäten sind dadurch nicht betroffen. Der Hausvater ist nicht mehr auf diese eine Konstellation mit Frau, Kindern und Gesinde bezogen. Der Hausvater ist in einer, von einer Andemokratisierung hergestellten, nochmaligen Privatisierung in den Besitz des Männlichen übergegangen. Oder besser gesagt, der institutionellen Kontrolle entzogen. Schichtspezifisch ist das. Ganz im Sinne des Joseph von Sonnenfels, bei dem die Gesellschaft nach Ständen geordnet sein muß. Jeder soll wissen, wohin er gehört. Heute. Die Ableitungen der Hausvaternschaft werden mit jeweils schichtkonformen Mitteln gelebt. Wieder können wir die Daten aus den Frauenleben dazu verwenden, darauf zu schließen, wie die Männerleben gemacht werden.

Der faschistische Mann. Er hat nur einfach das Doppelleben des Manns der Monarchie und der liberalen Politik aufgegeben. Er bezieht seine Politik aus seiner Position als Hausvater, der seinen Abhängigen gegenüber unkontrolliert die Meinung sagen kann. Und durfte. Und. In gewisser Weise ist das durchaus „ehrlicher“ als die Doppellebensversion. Während Institutionen wie der Staat der Monarchie, die katholische Kirche, Standesehre und das „So“ der Anerkennung dieser Institutionen den Mann zu einem öffentlichen Auftritt zusammenführte, der bestimmte, wie dieses „So“ aussah. Die Aufsage und Selbstauflösung dieser Institutionen erlaubte es, dieses Doppelleben zwischen Öffentlichkeit und häuslichem Auftritt aufzugeben und die privat geäußerten Meinungen in die Öffentlichkeit zu verlängern. Die Entwicklung der Schönerer-Partei illustriert diesen Vorgang. Mit den auflösenden Folgen, die wir kennen. Es wäre schon schön, wenn in Weiterführung dieser Doppelheit, wenigstens öffentlich Demokratie implementiert worden wäre. Wie wir an den Erfolgen des Populistischen sehen können, handelt es sich aber eher um non-kognitive Impulse, die in rassistische Sprache noch während ihres Aufsteigens hörbar gemacht werden. Unzensuriert ist das dann. Der Hausvater wird nicht zensuriert. Nicht für private Meinungen. Das ist auch eine Reaktion auf eine Staatlichkeit, die eher vagen Erinnerungsschwaden verpflichtet ist, als den tatsächlichen Umständen. Und so. Es ist nicht verwunderlich, daß sich die Forderungen zu Kontrolle und Zensur vor allem in den christlichen Parteien Mitteleuropas wieder den Forderungskatalogen der Frühaufklärung annähern. Wenn die tatsächlich verfassungsrechtlich garantierte Demokratie kulturell nicht durchgesetzt ist, dann regiert die Angst vor den anderen, in der Angst aus diesen non-kognitiven Impulsen. Jede Person kann nur von sich ausgehend, den Blick auf die anderen richten. Wenn aber nun nicht bewußte Anforderungen aus den Erbschaften der Geschichte der Männlichkeit unbewältigt nur noch private Eruptionen der Überforderung produzieren. Dann muß die Kontrolle der anderen im Mittelpunkt stehen. Rassisten wissen ja selbst am besten, wie der Traum von der Gewalt über die anderen aussieht.

Es ist eine Krise des Staatlichen, die uns hier vorliegt. Und der Versuch, Demokratie zu verhindern. Der Hausvater, der das Abziehbild des absolutistischen Herrschers war. Das Hausväterliche soll über Reformen zurück eingeführt werden. Das Staatliche soll selbst hausväterlich agieren. Die Rebellion des einzelnen hausväterlichen Manns soll in eine große Hausväterlichkeit des Staats zusammen geführt werden.

Vor nun zwei Jahren. Den Frauen wurde ja schon im Regierungsprogramm der türkis-blauen Koalition ihre Verschiedenheit von den Männern attestiert. Die Würde der Frau war in diesem Programm von einer solche Verschiedenheit abhängig gemacht worden. Gleichberechtigung. Gleichheit. So, wie das in der österreichischen Verfassung vorgesehen ist. Das Gleichheitsprinzip. Es gilt nicht mehr. Und wieder. Der Riss zwischen Staat und Kultur wurde offenkundig. Die historische Entwicklung hat aus Österreich einen konservativen Sozialstaat gemacht. Mit dem Verlassen des Gleichheitsprinzips jetzt einmal in der Geschlechterfrage eröffnen sich alle Möglichkeiten das Demokratische daran zu unterhöhlen. Die Asylgesetzgebung führt das exemplarisch vor. Die Asylgesetzgebung führt auch vor, wie das Staatliche sadistische Anwendung finden kann.

Für die Frauen. Es geht darum, über die Verschiebung der Frauen in eine nicht gleiche Kategorie insgesamt Verschiedenheiten zu deklarieren. Und sie dann „in einem untergeordnethen Ebenmaaße“ zu halten, wie das die aufklärerische Staatstheorie des Josef von Sonnenfels vorschreibt.

Wozu eine solche Analyse, wenn es doch um die Gegenwart geht.

Nun. Es ist genau diese politische Kultur. Es ist genau dieses „So“ auf der Terrasse im vergangenen Sommer. Es ist die unreformierte Hausvaternschaft, an der das größte Integrationsprojekt unserer Geschichte am Ende doch scheiterte. Denn. Antisemitismus. Er gehört zu diesen non-kognitiven Impulsen, die von lange her ererbt, dem nicht demokratisierten Mann zu Verfügung stehen. Wenn sie ihn nicht überhaupt beschreiben. Wenn nicht Antisemitismus und Rassismen ein identitätsstiftender Bestandteil des österreichischen Hausvaters sind. Und Hausvater darin, daß derartige Impulse in Sprache verwandelt als Wahrheit vertreten werden. Ganz in der imperialen Verkündigungsform des absolutistischen Haushaltsvorstands des Code Civil.

Wenn in identitären Blogs Elfriede Jelinek heute „Jüdin“ genannt wird, dann werden wir an die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 und das Ehegesundheistsgesetz vom 18. Oktober 1935, in der Fassung für Österreich im „Ersten Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Einführung deutscher Reichsgesetze in Österreich vom 15. März 1938“ erinnert. Immer noch und weiterhin wird mit der Bezeichnung „Jüdin“ der Ausschluss aus dem Staat verstanden. Der Verlust aller Rechte und staatlichen Schutzes wird mit dieser Bezeichnung wiederholt. Wenn Elisabeth Leopold 2010 in einem Museum in Südmanhattan vor dem Bild „Die Wally“ stehend, in den Satz ausbrach, „Man muß tolerant sein zu den Juden.“ dann hat sie diesen Ausschluss ebenso wiederum vollzogen. Elisabeth Leopold hat geweint dabei. Aber. Sie hat den österreichischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen von damals erneut die Staatsbürgerschaft entzogen und die Nürnberger Gesetze angewandt. Und am Akademischen Gymnasium in Wien. Da steht auf einer Gedenktafel zu lesen: „Wir erinnern uns an jene Schüler und Lehrer, die 1938 die Schule verlassen mußten, weil sie Juden waren.“ Statt zu sagen, daß die Benennung „Jude“ der Vorwand gewesen war, so benannten Personen ihre Staatsbürgerschaft zu entziehen. In gewisser Weise spiegeln die Asylgesetze diesen Vorgang, indem der Erwerb des Aufenthalts ebenso von Benennungen und deren Interpretation abhängig gemacht werden. Die staatsbürgerlichen Rechte also entzogen bleiben, während sie im Nationalsozialismus durch Benennungen entzogen wurden.

Demokratie geht von einer Selbstbenennung der Person aus und verbietet dem Staat diese Benennung zu verändern. Der sprachliche Umgang mit dem Holocaust aber ist in aller und schrecklicher Nachlässigkeit immer noch Nachvollzug der antidemokratischen Gesetze des nationalsozialistischen Staats.

Über den Holocaust wird in Österreich geredet als handelte es sich um eine Naturkatastrophe. Wenn aber das Gemachte der Shoa nicht erkannt werden muß. Wenn die idealistischen Fiktionen von Rassismen, Antisemitismen und Sexismen, und deren Wirken in der Vergangenheit, weiterhin als idealistische Fiktionen vermittelt werden. Demokratie kann es nicht geben, wenn der Blick auf die Geschichte idealistisch vernebelt geblieben ist. Und darum geht es. Es geht um die Erinnerung. Geschichtliche Erinnerung. Persönliche Erinnerung. Das Gewebe davon. Das ist der Schauplatz der Gegenwart. Jeder Gegenwart. Und. Das ist der eigentliche Ort des Lebens. Das wird der eigentliche Ort des Lebens gewesen sein. Jeden Augenblick lang. Wie das eigene Leben im Allgemeinen verwoben gewesen war. Kollektiv. Und einzeln. Darüber tobt der Kampf. Das ist der Gegenstand der Politik. Dem kann keiner und keine entkommen.

Es ist das „So“ einer Kultur, die die Integration nicht gelingen läßt. Integration. Das verworren unverständlich, aber heimatlich anheimelnd empfundene „So“. Und das wird als konservativ empfunden. Ist aber konservativ im Reaktionären. Ein Ausschluss aus einem solchen „So“ muß nicht einmal gedacht werden. So wiederum selbstverständlich ist der Ausschluss mitgedacht. So selbstverständlich konnte das Ehegesundheitsgesetz zur Anwendung kommen. Und kommt zur Anwendung. Und das. Das beschreibt, daß es keine grundlegende Vorstellung einer Staatsbürgerschaft gibt. Daß es eine grundlegende Berechtigtheit als Person gibt. Daß die Menschenrechte auf jeden und jede von uns anwendbar sind. Und daß wir in der Vertretung unserer Rechte, die Rechte anderer zu vertreten haben. Daß Aufnahme und Integration Teil unserer eigenen Grundrechtssituation sind. Daß wir uns selbst gegen das Übermaß des Staats in demokratischer Weise verteidigen müssen. Daß die Integration Hilfesuchender unsere eigenen demokratischen Rechte betrifft. Daß es eine Auseinandersetzung mit dem Staat selbst ist, die da stattfindet und daß wir unsere eigenen Position gegenüber dem Staat jeweils neu justieren müssen. Der Staat. Er zeigt sich in der Frage der Integration in seiner realen Praxis. Diese Praxis ist immer Konstruktion. In ziviler Art und Weise muß das „So“ dieser Praxis demokratisch kontrolliert werden. Denn.

Integration. Da soll Teilnahme entstehen. Ermöglicht werden. Staatfinden. Das „so“ der Verhinderung. Dieses Bollwerk der Abwehr. Das findet in der Mitte der Gesellschaft statt. Nun. Es gibt ja auch unterstützende Personen. Ich würde mich nicht wundern, wenn nicht eine oder zwei der Personen auf der Terrasse in Wien syrischen Personen beim Lernen für die Deutschprüfungen beistehen würden. Ich lerne, daß solch unterstützende Personen einen anderen Blick auf den Staat und sein Wirken entwickeln. Daß dieser Blick Partei für das Demokratische nimmt. Ich lerne, daß in Österreich die Behörden sehr schnell bei der Benennung „ziviler Ungehorsam“ angelangt sind. Ich sehe, wie Personen den gesamten Wert ihres Lebens einbringen, Migranten und Migrantinnen zu beschützen. Der Vorgang des Schützens läßt auf das Wirken des Staats schließen. Und es ist dieses Wirken, das das Hausväterliche an der Politik der Regierenden umsetzt. Und. Keine Partei in diesem Land ist des Hausväterlichen frei.

Wenn weiterhin alle Wege zur Demokratie als „links“ verdammt werden können. Was sie nicht sind. Die Gesamtschule ist ein demokratisches Konzept. Es ist noch lange nicht links, wenn alle Kinder durch die gleichen Türen in die gleichen Häuser gehen und nicht schon von sehr klein an lernen, wohin sie ständischerweise gehören. Überhaupt. Eine vollständige Neuordnung der politischen Agenda und eine Neuorientierung an der Moderne wäre notwendig, die vormodernen Strukturen in demokratische Realitäten umzubauen. Wie es auch notwendig wäre, die Trennung von System und Lebenswelt aufzuheben und damit den gelebt werden müssenden Umständen gerecht zu werden. Die Aufteilung in eine öffentliche und eine private Person. Das Ibiza Video war vielleicht darin hilfreich zu zeigen, wie die privat und im geheimen gelebte Hausvaternschaft von der öffentlichen, autoritären Hausvaternschaft eines Politikers nicht getrennt werden kann.

So also. So gesehen. Integration. Das ist unsere Chance zu Demokratie zu gelangen. Zu einem Wert des Lebens zu kommen, der nicht ausschließend allen eine Existenz zuspricht. Erst wenn diese Zuschreibung gesellschaftlich kulturell durchgesetzt ist, wird überhaupt eine Kultur entstehen können, in der jeder und jede zu einer eigenen Benennung kommen kann. Und nicht den vagen, als allgemein vorgeschrieben vermuteten schematischen Zuordnungen unterliegen müssen. Erst dann wird es eine Befreiung aus den schematischen Rollen geben können. Erst dann werden wir wissen, was ein gutes Leben sein kann. Jetzt einmal. Von Freiheit wissen wir hier nichts.

Unlängst. Im Frühling diesen Jahres. Die Volkshochschule in Oberwart hatte einen Kurs für Romanes ausgeschrieben. Ich meldete mich an. Fuhr hin. Ich wollte Romanes lernen. Ich hatte mich immer wieder mit den Sprachen der Sinti und Roma beschäftigt. Theoretisch bis dahin. Nun wollte ich mit der Praxis beginnen und mich mit der Aussprache beschäftigen. Reden lernen. Romanes sprechen.

Die Sprachlehrerin. Sie sagte uns gleich zu Beginn, daß wir diese Sprache nicht erlernen würden. Niemand habe bisher bei einem solche Sprachkurs diese Sprache erlernt. Danach erkundigte sie sich, warum wir Romanes lernen wollten. Überhaupt. Wir waren zwei Frauen, die keine Romni waren. Zwar habe ich in der angeheirateten Verwandtschaft Roma und englische Fahrende, aber ich dachte nicht, ich müßte mich durch Familienbande legitimieren. Alle anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen kamen aus Roma-Familien, in denen nur noch die Großeltern Romanes sprechen konnten. Der Kurs begann. Immer wieder kam die Sprachlehrerin oder andere Teilnehmer und Teilnehmerinnen auf Geschichten der Diskriminierung zu sprechen. Alle lebten im Burgenland. Schon immer. Alle beklagten, für ihre Herkunft als Roma in einem angespannten Verhältnis zur Mehrheitsbevölkerung leben zu müssen. Der Teilnehmer, der aus Wien gekommen war. In Wien. So sagte er. In der Großstadt. Es interessiere da niemanden, woher einer käme. Er habe keine Probleme mit seiner Herkunft. Im Gegenteil. Der Mann hatte begonnen, Musik zu machen. Er wollte die richtige Aussprache für seine Lieder in Romanes gelehrt bekommen. Er hatte auch nur die Überlieferung in Romanes durch seine Großmutter im Burgenland und hatte nie mit anderen Personen in dieser Sprache gesprochen.

Bis zur Mittagspause waren wir nicht über die Personalpronomina und Sätze wie „Ich heiße Marlene“ oder „Du vakeres Romanes“ hinausgekommen. Nach der Mittagpause erzählte die Sprachlehrerin, sie habe in der Nacht davor davon geträumt, wie ihr alter Vater ihr verboten habe, Romanes zu unterrichten. Er habe sie früher vor solchen Kursen immer angerufen und ihr verboten, Romanes an Gatsche, also Nicht-Roma, weiterzugeben. Lachend erzählte die Frau uns, ihr Vater sei ihr also im Traum erschienen, um ihr den Unterricht zu verbieten. Dann wurde die Frau wieder ernst. Der Grund dafür. Ihr Vater wollte nicht, daß Die Anderen, sie, die Roma verstehen könnten. Daß wieder Kapos auftreten könnten, die die Roma im KZ ausspähen und verraten könnten. Daß die, die zum Abholen gekommen seien, verstehen könnten, wenn die Eltern den Kindern zuriefen, sie sollten davon laufen.

Ich bin dann zum Denkmal zur Erinnerung an die Oberwarter Morde in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995 gefahren. Josef Simon, Peter Sarközi, Karl Horvath und Erwin Horvath waren durch eine Bombe getötete worden. Die Männer hatten eine Tafel wegschaffen wollen, auf der „Roma zurück nach Indien“ zu lesen gewesen war. Das ist alles Zeitgeschichte und bekannt.

Das Denkmal. Es ist eingezäunt. Gleich hinter dem niedrigen Zaun sind riesige Erdhaufen aufgeschüttet. Die Zufahrt ist schlammig und von Baufahrzeugen aufgewühlt. Ich stehe in einem Niemandsland. Immerhin. Das Gras innerhalb der Umzäunung ist gemäht. Sonst gibt es keine Spuren von Pflege oder Fürsorge. Ich habe auch nichts. In Erinnerung meiner Prägungen würde ich gerne wenigstens eine Kerze anzünden. Ich stehe da und bin selbst nicht integriert. Nicht integriert worden. Mein Interesse an der Roma-Kultur hatte nicht gereicht, mir eine Einladung zu verschaffen. Aber. Ich verstehe die Sprachlehrerin. Vor dem Denkmal stehend muß ich sie verstehen. Und natürlich. Sie hat die Diskriminierung nur weitergegeben an mich. Sie hat den Auftrag ihres Vaters nicht überwinden können. Und warum sollte sie. Ich bin eine Gatsche. Sie steht dem Machtgebrauch der Mehrheitsgesellschaft gegenüber. Ihre Sprachidentität gibt ihr Halt und hält sie gefangen. Wir bräuchten eine lange moderierte Auseinandersetzung, unsere Positionen zu klären, um dann vielleicht den Satz „Schaj tu mange tri vasteskeri numerades?“ (Kann ich deine Handynummer haben?) zu erlernen. Und. Integration. Es wäre so eine lange moderierte Auseinandersetzung notwendig. Und immer müßte es um die spezifische Umsetzung des demokratischen Grundsatzes „Jedes Leben zählt“ gehen. Und zwar so. So. Daß keiner und keine von uns aus Angst in den Ansprüchen an das Demokratische zurückweichen müßte. Und dieses So. Das ist dann eine Chance. Vor allem unsere.