Werk.

01.10.2018 · Text.

Gestalt der Macht.

in: Die angewandte Kunst des Denkens. Von, für und gegen Rudolf Burger..
Hrsg.: Bernhard Knaller
Sonderzahl. 01.10.2018

14.04.2020 · Texte. Aller Art.

anlässlich.

14.04.2020

Der Text wurde unter dem Titel „Gestalt der Macht“ bereits in Bernhard Knallers: „Die angewandte Kunst des Denkens. Von, für und gegen Rudolf Burger.“ veröffentlicht. Aus gegebenem Anlass ist er nun auch hier als Volltext nachzulesen.

 

Überlegungen.

Gestern. Auf dem Weg zum Jardin du Luxembourg. Ich hatte gerade die Rue de Vaugirard überquert. Ein Einsatzfahrzeug war zu hören. Die Alarmtöne kamen sehr schnell näher. Metallisch kreischend. Laut und lauter werdend. Ich fragte mich, was für ein Einsatz das wohl sei. Rettung. Polizei. Feuerwehr. Da fuhr der Rettungswagen schon an mir vorbei. Einen Augenblick lang. Janitscharenmusik. Alles übertönend laut und spitz gellend die Alarmtöne Und meine Reaktion auf die, in diesen Tönen enthaltenen Motive des Alarms. Sofort ein Innehalten. Ein Schluchzen in der Kehle. Anspannung. Ausschau. Aber dann gleich die Entwarnung. Nach wenigen Schritten. Der Rettungswagen war schon nicht mehr zu sehen. Beim Parkeingang. Nur noch die Verwunderung, wie laut dieser Rettungsalarm in Paris doch sei.

Alarm. Einem solchen Transport nachschauend. Es stellt sich mir immer die Frage, ob der Rettungswagen auf dem Weg zu der zu rettenden Person ist. Oder die zu rettende Person schon transportiert wird. Also im Rettungswagen liegt. Und wie hört sich dieser Alarm drinnen an. Für die zu rettende Person. Sind diese schrillen Töne die Erzählung der Dringlichkeit des Transports. Sagen diese Töne der zu rettenden Person, daß alles gemacht wird, sie ins Spital zu bringen. Rechtzeitig. Oder verstärken diese Töne die Gewißheit, wie schlecht es um einen oder eine steht. Vergrößert sich die Angst ums Leben. Oder. Liegt gar niemand in diesem Alarmtransport und es geht um die Benutzung des Privilegs so eines Rettungstransports. In New York wurde mir immer gesagt, wenn eine Feuerwehr mit Blaulicht und Folgetonhorn sich einen Weg bahnte, daß es doch ohnehin nur darum ginge, die Pizza für die Mannschaft zu holen.

Alarm. Die Lautstärke. Die Dauer. Das ist kulturell bedingt. Und die Haltung dazu wohl anlaßbedingt. Wenn in Paris die Rettung mit so lauten und häßlichen Sirenentönen durch die Straßen saust, dann hat das mit der Nonchalance zu tun, mit der die Verkehrsregeln hier behandelt werden. Die Rettung muß hier von sehr weit her gehört werden können, um die Fahrbahn frei zu bekommen. In Wien. Da wissen wir am Ton schon, welches Einsatzfahrzeug sich annähert. Und wie überall auf der Welt sind wir angehalten, Platz zu machen. Da schwindelt sich immer noch ein Fahrer oder eine Fahrerin vor den Rettungswagen und nutzt die schon entstandene Lücke. Oder es fährt einer oder eine gleich ebenso schnell hinterdrein. Es ist wohl ein Gradmesser des Verhältnisses zur äußeren Autorität, das sich bei einem solchen Alarm mitteilt. Ja. Das Verhältnis zum Staat selbst läßt sich erahnen. Und. Empathie. Also die Vorstellung, daß es sich um eine Person handelt, die da in höchster Not transportiert wird. Eine Person, wie einer oder eine selbst. Nun. Die Berichte von aktiver Behinderung der Rettungstransporte häufen sich. Das sind Akte gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es ginge ja darum, jedem und jeder und damit sich selbst in gleicher Weise Rettung zuzugestehen.

Alarm. Wenn es um die Ordnung geht. Um die Geordnetheit, in der eine solche Rettung zustande kommen kann. In gewisser Weise stellt so ein Alarmton ein Zeichen jener Sprache dar, die auf Eindeutigkeiten besteht. Bestand. Unüberlegtes Befolgen verlangt ein solcher Alarmton. Gehorsam wird abverlangt. Befolgen. Und so, wie dieser Rettungswagen vorbeisaust. Es wird kaum eine Aufklärung der Umstände zu erfahren sein. Ein solcher Alarm muß mit Schicksal übersetzt werden. Mit Gefahr. Todesgefahr. Und bleibt ein unerklärtes Gleichnis der Endlichkeit.

Die Person im Rettungswagen. Die Person, die gerettet werden soll. Die einzelne Person. Der Alarm verschafft ihr wörtlich Vorzug. Was einmal der Macht überlassen war, erfährt hier die unmächtige Person. Ungehinderte Durchfahrt. Immerhin. Es war möglich, dieser unbekannten und bedürftigen Person dieses Privileg zuzugestehen. Nur Staatsbesuche und Rettungseinsätze kennen diese ungehinderte Durchfahrt. Der Alarm. Einmal Instrument des Regierens. Alarm wird nur noch in Ausnahmefällen benutzt.

Und. Es ist eine Diagnose des Sprechens zu treffen. Jetzt. Gerade jetzt. Im Augenblick. Denn. Die Sprachen, die sich des gehorsamheischenden Alarms bedienen. Die Sprachen, die normvermittelnd alarmieren. Sie wirken. Sie wirken weiterhin. Ja. Sie kommen wieder ans Regieren. Und können doch Demokratie nicht sprechen.

Ein Alarm. Es ist nie ganz klar, ob der Alarm eine Reaktion auf Ereignisse ist. Oder ob der Alarm der Auslöser von Ereignissen ist. Wenn ein Rassist, Ausländer schreit und eine verheerende Mobreaktion auslöst. Dann hat er mit dem Alarm die Ereignisse hergestellt. Alarm ist ein Mittel der Regie und die Mächte aller Zeiten wußten sich dessen zu bedienen.

Ohne Alarm zu sprechen. Und nicht nur ohne Alarm zu reden. Das bedeutet, sich atheologisch zu äußern. Das bedeutet, gegen alle gehorsamheischenden normvermittelnden Sprachen anzusprechen. Das bedeutet, sich einer universellen Deutung zu begeben. Und. Das bedeutet, sich jenes theologischen Blicks zu begeben, der in assoziativer Weise metaphorische Zusammenhänge zu neuen und wieder universell gemeinten Deutungen zusammenbaut. Denn. Die Normen, die durch die gehorsamheischenden Sprachen begründet und erhalten werden. Diese Normen bedeuten Macht und Machterhalt. Und den Ausschluß daraus. In diesen Sprachen kann keine Gleichheit gesprochen werden.

Alarm. Leviathanalarm. Der Mensch ist des Menschen Wolf – Alarm. Mag das Mißverständnis mit Hobbes und dem Titelbild seines Leviathan daran liegen, daß der gekrönte Riese mit den Insignien weltlicher und geistlicher Macht eben Alarm auslöst. Und im Augenblick des Alarms. Rationales ist da nicht möglich. Bei Alarm. Da geht es um automatisierte Abläufe. So viel Drill müssen wir zugestehen. Im Ausnahmefall. Die Kette der Wasserkübel oder das Zusammenschrauben der Wasserschläuche. Das Protokoll für die verunfallte Person. Für den Herzinfarkt. Den Schlaganfall. Das muß ohne Nachdenken funktionieren. Geübt muß das sein. Eingeübt. Aber. Mehr an militarisiert automatischen Abläufen sollte in einem demokratischen Staat dann aber schon nicht mehr vorkommen.

Natürlich verstehen wir den Schrecken, den das Titelbild des Hobbeschen Leviathan auslöst. Dazu sind wir noch zu gut im katholischen Bilderdienst unterwiesen. Und im theologisch alarmistischen Blick auf den Menschen überhaupt. Und es gibt ein einfaches Rezept, sich von diesen Blickweisen einmal zu distanzieren. Die Formel dafür lautet, den Begriff „Mensch“ zu streichen. Ohne das Wort „Mensch“ bricht das universelle Unbehagen mit der Spezies in sich zusammen. Wird das Wort „Person“ anstelle von „Mensch“ eingesetzt, dann läßt sich nicht so einfach in der Weltgeschichte herummanövrieren. Hätte die Philosophie den Begriff „Mensch“ nicht so selbstverständlich aus der Christlichkeit heraus weiterbenutzt. Es hätte die Philosophie sich nicht zu einem dieser Christlichkeit ähnlichen melancholischen Kosmos entwickelt. Mit allen gewalttätigen Folgen, die so eine hegemoniale Melancholie nach sich zieht. Wäre der Satz „Homo homini lupus“ mit „Persona personae lupus“ denkbar? Es zeigt sich. Das Wort „Mensch“ dient dazu, eine Masse zu konstruieren. Eine zu erziehende Masse. Eine zuzurichtende. Eine zu bemitleidende. Eine zu verachtende. Zu fürchtende. Zu bekämpfende. Eine auszubeutende. Benutzte. Besessene. Und. Masse hat alle Eigenschaften, die von einem hegemonial Männlichen dem Weiblichen zugedacht werden. Mit all den Abwertungen und Verachtungen, die im Frauenhaß aufbewahrt werden.

Der Mensch. Ein vages Bild erst herzustellender Männlichkeit bildet sich da. Und das Begehren, in den Besitz dieser Masse zu kommen. Sich dieser Masse zu bemächtigen. Sie zu besitzen. Und einen Gott zu konstruieren, der diesen Menschen geschaffen hat, damit es einen Platz gibt, von dem aus das Begehren des Herrschens argumentiert werden kann. Es geht um Territorien, von denen der Mensch eines bildet. Das eigentliche Territorium. Der Mensch. Nicht Abstraktion bildet diesen Begriff des zu ordnenden Territoriums. Es ist eine Reduktion auf die exemplarische Hinfälligkeit und Unzulänglichkeit des männlichen Lebens im Menschlichen, das den Menschen beschreibt. Wieder ist die Beschreibung als Territorium gestaltet. Die Sprechmacht richtet sich den Gegenstand der Begierde sprachlich zurecht.

Eine Person. Das ist es schwierig sich vorzustellen, wie die Erschaffung vor sich gegangen sein soll. Eine Person. Und andere Personen. Immer bildet sich schon beim Sagen eine Menge von Personen. Masse nicht. Und. Menschen sind schon gleich und können es nicht mehr werden. Personen sind nicht gleich und müssen es erst werden. Zumindest wenn wir unsere Staatsverfassung als Standard nehmen.

„Wenn du selbst dein Herz in Ordnung bringst,/“ ljob 11,13

Dieses Selbst ist die Grundlage demokratischen Denkens. Dieses Selbst muß in einer anderen Sprache mit sich verhandeln und dann mit den anderen als in der gehorsamheischenden, normvermittelnden Sprache der Theologie und dem Posttheologischen. In Philosophie und Politik. Wie könnte das Selbst sich in diesen immer Ausschluß sprechenden Sprachen in den Besitz der Grundrechte setzen. Wie Würde verlangen oder geben, wenn in der Sprache, in der dieses Selbst reden muß, der Generalverdacht gegen den Menschen aufrecht geblieben ist.

Und ist es nicht genau diese Spaltung in das Entwerfen eines Selbst und der hegemonieerhaltende Gebrauch der Glaubenssprachen, die das Identitäre in neuer Form erstehen läßt. Von der Demokratie das Selbst beanspruchen und dann das Selbst in normgebietender und gehorsamwollender Weise sprechend auf andere übertragen.

Weil es aber immer um Interessenserhalt ging. Um Machterhalt. Um wenigstens die teilweise Vortäuschung davon. Und um die Selbsttäuschungen der Eliten. Eine kleine Komplizenschaft im Gebrauch der normheischenden Glaubenssprachen hat sich in allem Reden erhalten. Das ist in der Philosophie so. Das ist in den Wissenschaften so geblieben. Und in der Politik zeigt sich das aufs Deutlichste. Es gab und gibt keinen Reformwillen des Sprachlichen und damit keinen Willen, das Demokratische zumindest zu sprechen.

Demokratisches Sprechen. Das ist das Motiv, um das gerade ein international geführter Kampf stattfindet. Wieder wird diese Auseinandersetzung hauptsächlich auf englisch geführt. #MeToo. Im Deutschen wäre diese Aktion nicht zu beginnen gewesen. In der Nachahmung der englischen Gendergrammatik ist die Klage der Frauen erst auch auf deutsch zu führen. Aber. Das ist demokratischer Fortschritt. Darüber kann man lächeln oder wütend werden. Frau kann das nur begrüßen. Sichtbarkeit. Die Reklamation in die Sichtbarkeit und damit in die Beschreibbarkeit. Benennbarkeit. Daß die Sichtbarkeit der Frauen über ihre Klage entstehen muß. Das wird noch böse Früchte tragen. Aber anders war die Gleichberechtigtheit nicht zu bekommen. Wenn über den Menschen geredet wurde. Oder die Massen. Die Frauen waren die nachgereihten Schatten der schon nicht voll anerkannten Menschen in diesen Massen.

Warum hat niemand sich Gedanken über Frau Hiob gemacht. Frau Hiob wird zweimal erwähnt. Das eine Mal rät sie ihrem Mann und das zweite Mal ist ihr Hiobs fauler Atem zuwider. Aber sie ist die ganze Zeit da. Sie hat auch ihre 10 Kinder verloren und muß der Geschichte folgend, noch einmal 10 Kinder gebären. Im Hiob Text bleibt sie unbenannt. Das ist dann der Arbeit der katholischen Kirche zuzuschreiben, daß das Erbe nur durch eine von der Kirche beglaubigte Ehe an die ehelichen Kinder weitergegeben werden darf. Das ganze Mittelalter hindurch fand dieser Kampf um die Anerkennung des weltlichen Besitzs durch die Macht der Kirche statt. Die Benennung der Frauen war dafür das Medium. Die Registrierung der jeweils einzigen Ehefrau durch die Kirche gab das Erbe frei. Und. Die Reformation richtete sich auch gegen dieses dynastiebestimmende Monopol der katholischen Kirche.

Da war Hiob schon weiter gekommen. Warum hat niemand beim Lesen des Buchs Hiob bemerkt, daß Hiob am Ende seinen Töchtern ein Erbe verleiht. Daß das ganze Leid und die so ausführlich besprochenen Krisen dazu geführt haben, daß dieser Mann unter seinen Kindern Geschlechtergerechtigkeit walten läßt. Es hätte da angesetzt werden können. Thomas Hobbes hätte nicht nur die als Mensch gedachten Männer dem Leviathan aussetzen und seine schützenden Zwangsmaßnahmen für den Menschen in seiner Wölfischheit entwickeln müssen.

Erinnerungen.

Alarm. Ich kann mich erinnern, wie alarmiert ich nach dem Vortrag von Dr. Burger am …. im Jahr …. in ….. zum Leviathan war. Ich sah mich unbenannt vom kulturpessimistischen Diktum des unvermeidlichen Untergangs betroffen. Nun. In gewisser Weise war das damals lege artis. In gewisser Weise damals schon längst nicht. Aber. Es stand keiner oder keine nach dem Vortrag auf und wies auf die Frage der Sprache der Geisteswissenschaften hin. Das ist bis heute so. Die strukturellen Denkverbote, die auf der innigen Verflechtung von Kirche und aufgeklärtem Staat in Wien beruhen, ließen die strukturellen Denkverbote der Entflechtung dieser Verbindung in London als begehrenswertes Motiv erscheinen. Die Tragödie liegt genau darin. Die kulturellen Aspekte solcher Verflechtungen. Dr. Burger konnte damals die politische Lage im Nahen Osten richtig voraussagen. Seine Diagnose, daß es sich um Gesellschaften vor dem Westfälischen Frieden handle, stimmte nicht. Die Wahrheit. Sie wäre im Formalen zu finden gewesen. Im vorgeführten Sprachgebrauch. Denn. Aufgrund der allgemeinen Anerkennung des normstiftenden, gehorsamheischenden Sprechens gab es keinen Weg vermittelnde Kommunikation herzustellen. Nicht in diesem Vortrag. Nicht auf den Bühnen der internationalen Politik. Nicht in den betroffenen Politiken. Krieg war die Sprache, die eingesetzt wurde. Krieg als die gehorsamheischendste und normbestimmendste Sprache überhaupt. Krieg als die Wahrheit eines abstrahierend ausschließenden Sprechens, das einer einzigen Wahrheit folgt. Eine Wahrheit, die dann als Schicksal des Menschen betrauert wird. In hohem Ton und allem Pathos.

Ein anderer Weg wäre gewesen, dem Buch Hiob zu folgen und im Verhandeln jeden aussprechen zu lassen. Besser noch wäre es, demokratisches Sprechen zu lernen und darauf zu bestehen, daß es sich um Personen handelt, die da bombardiert, vergiftet oder vertrieben werden. Von Hiob wäre zu lernen gewesen, daß alle, ungeachtet ihrer Merkmale, gleich behandelt werden müssen. Es führt nicht zu wölfischen Katastrophen, wenn Gleichheit als Würde gedacht, gesprochen und gegeben wird. Im Gegenteil. „Wenn du selbst dein Herz in Ordnung bringst,/“.