Werk.

08.02.2000 · Text.

Alles, was falsch ist. Über Jörg Haiders Wortwörtlichkeit.

Süddeutsche Zeitung. Feuilleton. 31. S. 1. 08.02.2000

8.2.2000

Ich fuhr heute mit dem Schienenersatzverkehrsbus der U2 in Richtung Vinetastraße in Berlin. Bei der Haltestelle Mohrenstraße hielt ein Reisebus aus Anhalt neben dem Schienenersatzverkehrsbus. Die Menschen im Reisebus saßen höher. Sahen auf uns im Schienenersatzverkehrsbus herunter. Die denken jetzt, sie sehen Berliner in einem öffentlichen Bus, dachte ich. Und in Wirklichkeit sehen sie eine Österreicherin. Eine von der EU zur Österreicherin gezwungene Österreicherin. Und würde ich nun Asyl gewährt bekommen. In einem Land der EU. In Deutschland zum Beispiel. Wenn man die Botschafter abziehen muß, wie kann man dann mir Österreich zumuten. Oder muß ich durch die Ablehnung Haiders an Haider geklebt in ein Schicksal meines Volkes verstrickt werden. Bisher mußte ich noch nie „mein Volk“ sagen. Bisher mußte ich noch nie auf diese versunkenen gefühlsgeladenen Sprachebenen zurückgreifen. Bisher war ich in einer ansteigenden Internationalisierung nicht auf diese schmale Identität eingegrenzt. Aber. Die Wiedereinführung solch nationalistischer Kriterien wird sich gegen den Europagedanken insgesamt richten. Da hätte sich die Wertegemeinschaft Europa ein tauglicheres Instrument ausdenken müssen. Wie bei allen Boykotts wird denen am meisten geschadet, die unterstützt werden sollen. Und es ist von schönem politischem Widersinn, Ausgrenzer wie Haider durch Ausgrenzung zu stärken. Zumindest in der von ihnen benutzten Paranoia eines Verfolgtseins.

Extra verdreht wird die Sache, wenn der Staat ächtet und die Medien den Geächteten als Quotenbringer vorführen. Und das im Format der talkshow, die zur Täterselbstdarstellung erfunden wurde. Haider kann da gar nichts falsch machen. Was soll Haider noch falsch machen, wenn schon alles falsch ist. Die eine Chance. Diese eine Möglichkeit, die offenkundig dann wirklich jeder erhält. Die hat er in der Pressekonferenz zur Vorstellung des Koalitionspakts mit der ÖVP vergeben. Vor den Kameras der Weltöffentlichkeit hat er sich als der brutale Medientäter dargestellt, den man ihm bisher nicht glauben wollte. In der von Haider und Schüssel inszenierten aristotelischen Dramaturgie ihrer Eigenermächtigung gab es ein retardierendes Moment. In der Pressekonferenz stand ein Mann auf und sagte, „Ich bin ein Holocaustüberlebender. Ist der Holocaust weiterhin ein Randthema für Sie, Herr Haider.“ Die Frage wurde emotional vorgetragen. Ich saß vor dem Fernsehapparat und fürchtete. Einen Augenblick fürchtete ich, Haider könnte richtig reagieren. Haider. Das politische Genie. Haider. Das Medientier. Der Medientäter. Er könnte mit der richtigen Geste und dem richtigen Satz im Falschen endgültig alles falsch machen und zu seinen Gunsten wenden. Er könnte zu dem Staatsmann werden, der er längst glaubt zu sein. Aber. Das war nur meine immer noch treuherzige Phantasie von der virtus des Politikers. Und weil doch alle immer gesagt hatten, daß man den Haider einmal „machen“ lassen soll. Dann würde er schon normal werden.

Aber nein. Haider will der Rottenführer bleiben. Der Anführer einer verschworenen Gemeinde. Er führt seine Partei als Mischung aus völkisch aufgeladener Hippiekolonie und Fehmegeheimgesellschaft. Und es kümmert ihn den Teufel, was man von ihm hält. Außerhalb der Rotte. Die außerhalb. Die stehen alle vor seinem Fehmegericht. Und daß die jetzt von den anderen mitgeächtete dastehen, muß den Triumph durch die Demütigung des Rests von Österreich noch genießenswerter machen. Für Haider und seine Mannen, die manchmal auch Frauen sind.

Und. Das Gefühl, Haider nun immer sichere Beute gewesen zu sein, ist unerträglich. Aber für den Täter ist es eine besondere Befriedigung, die Tat vor aller Augen begehen zu können. Sich dieser altmodischen, gefühlsgetränkten Sprache zu bedienen. Metaphern auszuwerfen, in deren Zustimmung den Zustimmern die Aufnahme in den Verein der einen verheißt. Der Richtigen, die den Schütz vor den anderen, den Falschen zusichert. Und deshalb wurde der Mann, der den Holocaust überlebte und Haider nach seinem Umgang mit der Vergangenheit befragte. Deshalb wurde dieser Mann von Haider einmal mehr zum Opfer gemacht. Mußte zum Opfer gemacht werden. Haiders Rotte steht am Rand und sieht zu. Erwartet vom Rottenführer Mannhaftes. Mit der Arroganz des Täters, der sich vor Ahndung sicher wissen kann, verwies Haider auf seine Erklärung vom 17. November. Da könne man nachlesen, wie er zum Holocaust stünde, sagte er. Keine richtige Geste. Kein richtiger Satz. Falsches, der Bedeutung des Falschen zum Durchbruch zu verhelfen.

Und das gelang ja nun. Mit dieser Regierungsbeteiligung. Und dabei tut er gar nichts. Wie in der Haiderschen Märtyrerlegende immer wieder betont wird. Er tut ja gar nichts. Er sagt ja gar nichts. Bei der Pressekonferenz am Dienstag tatsächlich so. Und Haider setzt gerade damit die Tat. Und im Sagen. Haider spricht mit vollem Mund. Die Metaphern, mit denen er um sich wirft, sind nicht entleerte Redefiguren. Seine Metaphern sind mit Wörtlichkeit aufgefüllt. Und jeder, der so denken und tun will, wie er, nimmt diese Metaphern wörtlich. Nimmt sie als Ankündigung anstelle der Tat, die dann, wenn die Zeit gekommen ist, in die Tat umgesetzt werden wird. Die Tat bleibt so jederzeit als tatsächliche Möglichkeit in der Sprache eingeschlossen. Unverhüllt und wörtlich jederzeit zum Ausbruch bereit.

Im Strafrecht wird sich das bald niederschlagen. Der Satz „der gehört kastriert“ wird nicht mehr als Ausruf einer Entlastung Sprechmaterial sein. Die Kastration wird wortwörtlich zur Erscheinung gebracht werden. So ist es schon geplant und damit eine Somatisierung des Strafrechts eingeleitet, die geradewegs zu körperlichen Strafen führt. Und letzten Endes die Todesstrafe bedeutet. Darin gleicht Haider seinen bewunderten Kollegen aus der republikanischen Partei in den USA. Strafe ist Rache.

Oft ist in Österreich der Satz zu hören gewesen. Beleidigt ist er vorgetragen worden. „Bei uns sind keine Asylantenheime angezündet worden. Immerhin.“ Aber. Bei uns muß niemand irgendetwas abfackeln. Das macht Haider sprachlich. Das wird rhetorisch erledigt. Vorerst einmal. „Ausländer raus“ auf Plakaten formuliert das fürs erste. Und das haiderische Österreich erwartet sich die Erledigung eines solchen Programms in aller Ordnung. Nicht ein paar Skins und so grausliche Aktionen. Nein. Das soll staatlich geregelt werden. Ordentlich eben. Gewalt wird an den Erlediger delegiert, der sie dann sauber staatlich exekutiert. Eine von Amnesty International ohnehin schon immer gerügte Prügelpolizei muß in Zukunft ihren Auftrag nur noch wörtlicher nehmen.

Und wen werden die Medien befragen? Wie immer nicht die Betroffenen. So wie Haider zu den Demonstrationen befragt wird und nie die Demonstranten. Eines aber wüßte ich gerne. Wie Haider es ertragen hat, diese paar Tage der erzwungenen Regierungsbildung von W. Schüssel abhängig gewesen zu sein. Sich sagen lassen müssen, Schüssel werde auf ihn aufpassen. Sich für ihn verbürgen. Ihn zähmen. Schüssel kann das gar nicht. Aber diese Tage bis zur Ernennung der Regierung mußte Haider Schüssel das sagen lassen. Und in der Tradition des österreichischen Klerikofaschismus wurde der verbissen ehrgeizige Schüssel predigtpathetisch. „So lange ich politisch atme, wird nichts passieren.“ Sagt Schüssel. Und glaubt es sich.

Was macht der jüngere, stärkere Mann mit seinem schwachen, älteren und besserwisserischen Bruder. Die Geschichten aus der Bibel kennen wir. Die Neuauflage in Österreich werden wir vorgeführt bekommen. Wir werden zusehen müssen, wie der politische Atem ausgehen wird und die Eindeutigkeit übernimmt. In sich ist das nicht widersinnig. Haiders demetaphorisierende Wörtlichkeit baut auf katholischem Fundamentalismus und seinen Sprachregelungen auf. Schüssel muß Haider nicht missionieren, wie er das immer verspricht. Haider hat das Katholische viel besser verstanden, als der kleine Ministrant, der unbedingt Bundeskanzler werden mußte.