Aktuell

04.08.2016

Wahlkampfroman 2016. „So wird das Leben.“

Bei der Wiederholung der Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten steht die Entscheidung für oder gegen die Demokratie an. Marlene Streeruwitz erzählt in ihrem dritten Wahlkampfroman was diese Entscheidung im wirklichen Leben bedeutet. Jeden Donnerstag um 20.00 Uhr wird eine neue Folge des Romans „So wird das Leben.“ auf der homepage https://www.marlenestreeruwitz.at/aktuell/ zu lesen sein.

Wahlkampfroman 2016. So wird das Leben.

Erste Folge. 1

Das Hämmern gegen die Wohnungstür und das Schreien draußen hörten nicht auf. Vroni setzte sich im Bett auf. Sie wußte nicht gleich, wo sie war. Dann stand sie auf und taumelte zur Wohnungstür. Auf dem Gang konnte sie das Geschrei verstehen. „Gsindel!“ schrie da jemand. „Rausschmeißn! Rausschmeißn und durchgreifen!“

Vroni brauchte lange, die 3 Sicherheitsschlösser aufzusperren, die der Onkel Franz an seiner Wohnungstür angebracht hatte. Der Mann vor der Tür schlug mit der Faust gegen die Tür. Jede Silbe seines Geschreis wurde mit einem Schlag betont. „Raus- schmei-ssen. Durch-grei-fen.“ Vroni hörte eine Frauenstimme. Das Gehämmer und Geschrei ging weiter. „Raus-schmei-ssen. Durch-grei-fen.“ Die Frau war gar nicht zu verstehen, so laut wurden die Parolen von dem Mann gerufen.

Dann hatte Vroni alle Schlösser aufgebracht. Sie riß die Tür auf. Draußen stand ein kleiner Mann in einem dunkellila Morgenmantel mit kirschrotem Passe-poil. Er hielt noch die Faust in die Höhe, um gegen die Tür zu schlagen. Er starrte sie überrascht an. Hinter ihm sah Vroni eine Frau im Nachthemd. Die Frau lächelte Vroni gähnend an. „A!“ sagte sie. „Sie müssen die Großnichte sein.“ Vroni nickte. Der Mann schaute von ihr zu der Frau im Nachthemd. Dann wandte er sich wieder Vroni zu. „Der alte Schwuli?“ Er brach ab. Er ließ den Arm sinken und begann mit den kirschroten Quasten am Gürtel seines Morgenmantels zu spielen. “ Es gibt wieder einen Wasserschaden.“ sagte er. Er sagte das böse und schaute zwischen Vroni und die Frau im Nachthemd hin und her. „Das ist aber kein Grund sich so aufzuführen.“ sagte die Frau. „Liebe Frau Dr. Fischer.“ Der Mann verzog angeekelt sein Gesicht. „Liebe Frau Dr. Fischer. Wenn bei Ihnen die Scheiße von der Decke tropfen würde, dann ist es auch bei Ihnen mit der Höflichkeit vorbei.“

Die Frau trat einen Schritt zurück. „Herr Chrobath. „Schwuli“ hat mit höflich oder unhöflich nichts zu tun.“ „Paperlapapp.“ Der Mann wandte sich wieder Vroni zu. „Schwul. So wollen die doch selbst genannt werden. Die nennen sich doch selber „schwul“. Sie sehen, ich bin total korrekt.“ Die Frau lächelte Vroni zu. „Es tut mir leid, daß ihr Aufenthalt hier gleich so anfängt.“ „Schluß mit dem Geschmuse.“ Der Mann kam auf Vroni zu. Vroni trat unwillkürlich zurück. Der Mann drängelte sich an ihr vorbei in die Wohnung. „In meinem Badezimmer ist ein Fleck an der Decke und das muß von hier kommen.“ Er lief ins Badezimmer. Die Frau war in die Wohnung nachgekommen und schaute dem Mann zu. „Ich gehe nur schnell und hole mir etwas zum Anziehen.“ sagte sie und verschwand in ihre Wohnung auf der anderen Seite des Stiegenabsatzs.

Vroni überlegte. Was war passiert. Hatte sie etwas falsch gemacht. Sie hatte nur geduscht. Hatte der Toni? Sie hatte ihn nicht nach Hause kommen gehört. Aber das war doch unmöglich. Warum sollte einer von ihnen das Badewasser nicht abgedreht haben. Ein Rohrbruch? Sie mußte den Onkel Franz anrufen.

Vroni ging in die Küche und rief nach Toni. Sie bekam keine Antwort. Sie riß die Tür zum Kabinett hinter der Küche auf. Das Bett war unberührt. Toni war noch gar nicht zu Hause. Sie lief zur Wohnungstür. Sie hatte richtig gehört. Sie hatte die Lifttür gehört. Toni stand schon in der Wohnung.

Vroni mußte tief Luft holen. Sie wollte Toni alles erzählen, aber da kam der Mann aus dem Badezimmer heraus. Er schaute sehr wütend drein. Dann sah er Toni und blieb stehen. „Aha.“ sagte er. Toni drehte sich zu Vroni. „Was ist denn los.“ fragte er. Er hängte seine Tasche an einen Garderobehaken. Vroni konnte nur mit den Achseln zucken. „Der Herr Chrobath behauptet, einen Wasserschaden zu haben.“ Die Frau aus der Wohnung gegenüber stand in der Wohnungstür. „Am besten wird es sein, wir schauen uns den Schaden einmal an.“

„Doktor Chrobath. Wenn ich bitten darf.“ Der Mann lächelte Toni an. „Wir sind nämlich noch stolz auf unsere akademischen Errungenschaften.“ sagte er. „Wir nehmen unseren Stand ernst.“ „Na wir brauchen das nicht.“ sagte die Frau. „Übrigens. Mein Name ist Helene Fischer.“ Vroni schaute erstaunt. „Ja.“ sagte die Frau. „Ich kann nichts machen. Ich habe schon immer so geheißen.“ „Ja. Weil sie nicht den Namen ihres Manns angenommen haben.“ Dr. Chrobath war schon auf der Stiege. „Ihr Onkel hat mir gesagt, daß sie auf seine Wohnung aufpassen.“ sagte Frau Fischer. „Schönes Aufpassen.“ rief Dr. Chrobath von unten herauf. „Nehmen Sie das alles nicht ernst.“ sagte Frau Fischer. „Sie werden sich auch an den Herrn Chrobath gewöhnen. Wir haben uns alle an den Herrn Dr. Chrobath gewöhnt. Und Sie müssen der Toni sein.“

Dann gingen sie alle die Stiegen hinunter. Die Wohnungstür stand offen. Dr. Chrobath stand im Badezimmer. „Da!“ rief er. „Da!“ Frau Fischer ging an die Badewanne heran. „Ja. Da ist ein feuchter Fleck.“ sagte sie. „Aber ein Fleck. Der schaut mir alt aus.“ „Ein riesiger brauner Fleck ist das. Die Scheiße von dem Richter kommt durch.“ „Aber die Toiletten sind doch viel weiter links. Das ist etwas anderes.“ „Ich schaue noch einmal.“ rief Toni und lief aus der Wohnung.

Vroni war zum Weinen. Sie hatte seit sie in Wien war nichts mehr von Meran gehört. Er war vor drei Wochen in die Türkei zurückgefahren. Sein Großvater war krank geworden. Seit dem Putsch hatte sie ihn nicht mehr erreichen können. Sein Telefon war tot und er antwortete auf die mails nicht. Sie hatte sich das alles so schön vorgestellt. Sie wären endlich längere Zeit in Wien zusammengewesen, weil Meran da bei der Unido gearbeitet hatte. Aber dort wußten sie auch nichts. Bisher hatte der Meran nach Graz kommen müssen, wenn sie einander sehen hatten wollen. Der Toni hatte sein WG Zimmer für den Sommer vermietet, weil sie auf die Wohnung vom Onkel Franz während seiner Kur im Bad Tatzmannsdorf aufpassen sollten. Sie hätten diese schöne Wohnung gehabt. Sie hatten es nur gut haben wollen. Alle zusammen sollten eine gute Zeit haben. Dieser Sommer hätte die schönste Zeit überhaupt werden sollen.

Frau Fischer war Toni in die Wohnung hinauf nachgegangen. Dr. Chrobath ging auf dem Gang in seiner Wohnung auf und ab. Er murmelte sein Gstanzl vor sich hin. „Raus-schmei-ssen. Durch-grei-fen.“ Toni kam von oben zurück. Er könne nichts finden. Das müsse ein Fachmann ansehen. Dr. Chrobath schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein.“ sagte er. Er lächelte Toni an. Toni schüttelte den Kopf und seufzte hilflos. „Was soll man da machen als wieder schlafen gehen.“ sagte Frau Fischer.

Dr. Chrobath ging in sein Badezimmer zurück und starrte auf den Fleck hinauf. Frau Fischer stellte sich zu ihm neben die Badewanne. Toni und Vroni schauten durch die Tür zur Decke hinauf. Der Fleck war so groß wie ein Handtuch und an den Rändern dünkler braun. Alle starrte hinauf. Plötzlich hob Chrobath seine Hände und ballt sie zu Fäusten. Er drehte sich zu Frau Fischer herum und schrie: „Ihr werdet schon sehen. Der Höflein wird gewinnen. Und dann schmeissen wir den Kanzler und das Parlament hinaus. Dann wird durchgegriffen. Und den Schilling führen wir auch wieder ein. Und Sie. Frauen wie Sie. Frau Dr. Fischer. Die. Die schicken wir in die Verbannung.“ Frau Fischer ging rückwärts aus dem Bad. Sie hielt Chrobath die Hände abwehrend entgegen. Sie drängte sich zwischen Toni und Vroni durch und auf den Gang. Chrobath hielt die Fäuste hoch. Er zitterte am ganzen Körper. Sein Kopf war rot geworden. Vroni dachte, daß das Rumpelstilzchen so ausgesehen haben mußte. Die Wut schüttelte den Mann so, daß es ihn in der Mitte durchreißen hätte können. Er stand einen Augenblick so. Dann ließ er die Arme fallen und nickte bedeutungsvoll. „So stellen Sie sich das alles vor.“ sagte er und schaute sich erschöpft um. „Immer den Problemen aus dem Weg gehen. Es ist höchste Zeit, daß das alles anders wird.“ Frau Fischer drehte sich weg und ging davon. Sie rief noch „Gute Nacht“ und „Wir reden morgen.“

Vroni mußte wieder seufzen. Dr. Chrobath wandte sich an Toni. „Sie müssen mir die Wohnung oben zugänglich machen.“ sagte er wieder freundlicher. Toni nickte. „Dann muß ich morgen halt hier lernen. Was machst du?“ Vroni zuckte mit den Achseln. Sie trug ihr handy bei sich. Sie wartete auf ein Lebenszeichen von Meran. Sie las die Zahlen der Verhaftungen in der Türkei und zählte die Angriffe auf kurdische Gebiete. Lernen konnte sie dabei nicht, wie sie das vorgehabt hatte. Sie ging in die Hauptbibliothek und las alle Zeitungen, die man da haben konnte, in der Hoffnung, etwas über die Türkei herauszufinden. Sie fürchtete sich aber auch davor, Meran auf einem der Bilder von den Massenverhaftungen zu entdecken.

Vroni ging dann in die Wohnung vom Onkel Franz zurück. Sie hörte noch, wie der Dr. Chrobath den Toni zum Frühstück einlud. Damit man einen Schlachtplan machen könne, wie man diesem dreckigen Fleck zu Leibe rücken solle. Da müsse nämlich eine radikale Lösung gefunden werden. Es ginge nicht, daß es so durch die Wände hereinsickere. Er wolle Ordnung, sagte der Dr. Chrobath. Und die würde ja auch kommen. Eine neue Ordnung. Was er damit meine. Aber Vroni war schon bei der Wohnungstür und hörte nichts mehr.

Toni kam die Stufen heraufgelaufen. „Ist dieser Mann zuckerkrank?“ fragte er. „Solche Wutausbrüche und Stimmungsschwankungen sind Symptome.“ Vroni konnte nur den Kopf schütteln. Der Alterschwachsinn dieses Manns interessiere sie in keiner Weise, murmelte sie. „Keine Nachricht.“ fragte Toni und schob seine Schwester in die Wohnung. „Scheiße!“ sagte er. Vroni nickte.

1 Diese Folge ist Sohair al-Bata’a gewidmet. 2013 starb sie mit 13 Jahren in Ägypten an den Folgen einer vom Vater erzwungenen Genitalverstümmelung. Der Arzt, der die Genitalamputation vornahm, wurde erst freigesprochen und nur nach heftigen Protesten wegen Todschlags zu drei Monaten Haft verurteilt. Raslan Fadl hatte sich durch Zahlungen an die Familie freigekauft. Er praktiziert weiter als Chirurg.