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20.10.2016

Wahlkampfroman 2016. „So wird das Leben.“ 12. Folge.

Wahlkampfroman 2016.

So wird das Leben.

Zwölfte Folge.1

Die Kristi hatte Detektiv gespielt und alles herausgefunden.

Vroni war wieder nach Wien zurückgekommen, und sie trafen einander alle bei der Mia in der Wohnung. Die Kristi hatte auch den Markus dazugeholt. Markus war ja ein Zeuge. Er hatte diesen Mann beim Weglaufen gesehen, und die Angelegenheit mit dem Schaden vom Tragesessel war ja weiter ein Problem. Das Rote Kreuz wollte 800,- Euro wegen mutwilliger Sachbeschädigung von Markus und seinem Kollegen.

Die Vroni setzte sich in den grauen Fauteuil, in dem sonst Mias Mutter saß. Vroni wollte plötzlich neben niemandem sitzen und neben Markus schon gar nicht. Sie konnte ihn nicht einmal richtig anschauen. Die Vroni dachte, das käme davon, daß sie so viel mit ihm getextet hatte und daß sie jetzt gar nicht wußte, wie sie mit der Person selber reden sollte. Markus war aber schon vor ihr da gewesen und hatte mit Mia in der Küche geredet. Da hatte sie ihm so zuwinken können und sich dann schnell in den Fauteuil geflüchtet.

Die Kristi brachte eine Flasche Prosecco vom Hofer mit. „Wir müssen das feiern.“ sagte sie und schenkte allen ein. „Wie hast du das denn gemacht?“ fragte Vroni. „Eigentlich hast du ja schon alles herausgefunden gehabt, Vroni.“ meinte Mia. Die Kristi begann zu lachen. „Wißt ihr. Ich habe es nur einfach so gemacht, wie ich es bei Tom Turbo gelernt habe.“ Da mußten alle lachen.

Tom Turbo war eine Detektivserie im Kinderfernsehen in den 90er Jahren gewesen. Tom Turbo war ein Wunderfahrrad, das 111 Tricks gekonnt hatte und vom Autor Thomas Brezina selbst gespielt worden war.

„Gibt es das eigentlich immer noch.“ fragte Markus und setzte sich auf die Armlehne vom Fauteuil neben die Vroni. Aber niemand wußte das. Niemand schaute noch fern. „Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal ferngesehen habe.“ sagte Kristi. „Ich bin aufgeblieben und habe mir die Trump-Debatten angeschaut.“ sagte Vroni. Markus legte den Arm um ihre Schulter. „Da bist du ja eine Märtyrerin.“ meinte er. „Aber da seht ihr es. Wir sagen „Trump-Debatte“ und damit bekommt dieser Typ noch mehr Bedeutung.“ warf Mia ein. „Das hat die Vroni nicht gemeint.“ entgegnete Markus. Die Vroni setzte sich auf, und Markus mußte seinen Arm von ihrer Schulter nehmen. „Da hast du vollkommen recht.“ sagte Vroni zu Mia. „Wir müssen noch viel besser aufpassen, was wir sagen. Aber was ich wissen will, muß ich jetzt zur Polizei gehen.“

„Also. Paßt auf.“ lachte die Kristi. „Ich bin einfach zu dieser Burschenschaft gegangen und habe gesagt, daß ich überlege, Mitglied zu werden. Da haben die mir das Vereinslokal gezeigt und gesagt, daß sie Mädchen nicht in die Burschenschaft aufnehmen. Ja. Der hat „Mädchen“ gesagt. Ist das nicht komisch. Ich habe befürchtet, der sagt „Fräulein“ zu mir und ich bekomme einen Lachkrampf. Dann hat der eine gesagt, ich könnte doch Couleurdame werden und den Gedanken so unterstützen. Ja. Lacht nicht. Er hat, „Gedanken“ gesagt. Also da habe ich wiederum gesagt, daß ich den „Gedanken“ unterstützen möchte, weil ich total gegen diesen Zivildienst bin. Dann habe ich über die Zivildiener schlecht geredet. Ihr wißt schon. Feiglinge. Schmarotzer. Warmduscher und so. Da hat dieser Diarmaid. Ja. Das ist der Verbindungsname von dem. Er hat es mir aufgeschrieben. Diarmaid ist ein Tristan, der seine Vasallentreue über die Liebe stellt und seine Isolde für seinen Lehensherr verläßt. Er schläft auch nicht mit ihr, sondern legt das Schwert zwischen sie beide. Und da bleibt es auch.“ Kristi grinste bedeutungsvoll.

„Das kann doch nicht sein.“ rief Mia. Vroni lehnte sich wieder zurück, so daß der Arm von Markus wieder um ihre Schultern lag. Die Kristi zuckte mit den Schultern. „Bitte. Ich kann nichts dafür. Wenn sich einer so nennt und das so meint. Mehr Beweis für eine autoritäre Persönlichkeit brauche ich nicht. Aber dann. Wartet. Dann. Ich habe gesagt, daß ich einen Kollegen in der Zeitgeschichte habe, der mich auf den Gedanken gebracht hat, den „Gedanken“ zu unterstützen. Aber daß mir sein Name jetzt nicht einfällt. Da hat dieser Diarmaid so gefragt. „Zeitgeschichte? Zeitgeschichte? Das muß der Alf sein. Mitterer heißt der mit zivilem Namen. Sven Mitterer. Alf ist sein Verbindungsname. “ Ich habe mich sehr gewundert. Ich habe gedacht, diese Namen sind ein Geheimnis. Aber ich habe gleich noch gefragt, ob es sein kann, daß dieser Alf mit einem „alten Herrn“ zu tun hat, der Maximus heißt, und da hat dieser Tristanersatz genickt. Ich bin dann rasch weg. Es riecht da schrecklich. Die Holzböden sind mit Bier eingeweicht. Jedenfalls riecht es irgendwie so.“

„Dann trinken wir jetzt einmal auf dich. Kristi.“ Mia hob ihr Glas. Vroni saß da und konnte nichts trinken. „Ich habe das totale Stockholmsyndrom.“ sagte sie. „Ich sollte doch eigentlich wütend sein und mich freuen, daß der jetzt bestraft werden kann. Aber nein. Ich fürchte mich davor.“ „Das ist doch normal.“ sagte Mia. „Aber es wird dir helfen. Du wirst sehen.“ Die Vroni schüttelte den Kopf.

Markus stand auf und ging ans Fenster. „Ich kann es nicht glauben.“ sagte er. „Das ist alles so. So.“ Er rang nach Worten. „Unglaublich?“ fragte Kristi. „Ja.“ seufzte Markus. Er schaute zum Fenster hinaus. „Es ist eben so. In unserer Gesellschaft wird Friedlichkeit immer nur bestraft.“ „Ich meine das nicht so.“ rief Vroni. „Ich werde den schon anzeigen. Aber es. Es. Kostet.“ Vroni wußte nicht weiter. Markus kam zum Fauteuil zurück und setzte sich wieder auf die Armlehne. „Ich habe nicht dich gemeint. Ich habe das allgemein gemeint. Ihr wißt, daß ich keinen Waffenschein bekommen kann, weil ich Zivildiener bin.“ Er schaute sich fragend um.

„Nein. Das weiß ich nicht.“ sagte Mia. Kristi schüttelte den Kopf. „Das ist ja. Das ist ja…“ „Ja. Kastration. Sag es.“ rief Markus. „Eine friedliche Person wird entmachtet. Nicht, daß ich eine Waffe haben will. Aber wenn ich einem Bundespräsidentenkandidaten gegenüberstehe, der immer eine Waffe in der Hosentasche mit sich herumträgt, dann will ich nicht wehrlos sein.“

„Stimmt das wirklich.“ Mia war noch immer verwundert. „Das heißt ja wirklich, daß die Männer in die, mit der Waffe und die, ohne Waffe eingeteilt werden.“ „Richtig.“ bestätigte Markus. „Wir leben in einem Land mit Waffenmonopol für die Gewalttätigen. Friedliche Menschen, die sich ihrer Verantwortung bewußt sind, die werden ausgeschlossen. Ich könnte ja auch nicht zur Polizei gehen. Ich müßte zuerst alles widerrufen, was ich gegen den Dienst mit der Waffe im Kriegsfall gesagt habe.“ Vroni mischte sich ein. „Das mit der Pistole in der Tasche. Das ist sowieso schon ein Grund gegen den Höflein zu sein. Haßt der die Leute so, zu denen er spricht. Oder was ist das. Ein Machtgefühl, jeden, mit dem er zu tun hat, niederschießen zu können. Aber in Österreich. Die Brutalisierung ist hier immer von oben gekommen.“

„Aber was tun wir jetzt wirklich.“ Mia schenkte Prosecco nach. „Was würde Tom Turbo machen?“ fragte Vroni. „Wir brauchen den 112. Trick.“ „Ja.“ sagte Kristi. „Wir sollten uns den Kerl zuerst einmal anschauen. Glaubst du nicht. Ich meine. Wir können doch noch nicht zur Polizei gehen. Wir sollten genau wissen, ob der das war. Oder?“

Die Vroni saß ganz still. Sie sah vor sich, wie das alles ablaufen würde. Die Polizeistation. Die skeptischen Fragen. Das Herumwarten. „Ich weiß jetzt, was es heißt, verzagt zu sein.“ sagte sie vor sich hin. Markus stand wieder auf und ging zum Fenster. Da läutete es. Mia ging zur Tür. Frau Prokesch kam hereingelaufen. „Meine Buben sind weg.“ sagte sie und schaute alle der Reihe nach an. „Versteht ihr. Meine Buben sind weg.“ und dann begann sie zu weinen.

1Diese Folge ist Natascha Maria Kampusch stelltvertretend für alle Personen gewidmet, denen die Gründe für ihre Flucht in einem kulturell tief eingelassenen Einverständnis mit Gewalt und ihrer Anwendung nicht anerkannt werden. Natascha Maria Kampusch war von einem Nachrichtentechniker entführt worden. Damals war sie 10 Jahre alt. Sie wurde 8 Jahre in einem Keller gefangen gehalten und sexuell genötigt. Auf Wikipedia wird die Entführung und die vollkommene Auslieferung Natascha Maria Kampuschs an ihren Entführer „Freiheitsentzug“ genannt. Mit diesem Wort wird angedeutet, daß alles ja vielleicht nicht so „schlimm“ gewesen war, wenn die Freiheit nur entzogen und nicht geraubt wurde. Es muß darüber nachgedacht werden, welche Komplizenschaft sich darin ausdrückt, wenn die Erzählung des Opfers über den Täter und die Tat so prinzipiell angezweifelt werden kann und damit dem Täter und der Tat noch einmal zur Wirkung verholfen wird. Es liegt ja schon eine grammatikalische Verstärkung der Täterschaft im Aktiv vor und wir sollten überlegen, auch noch ganz andere Sehweisen in der Grammatik zu entwickeln, als sich mit dem einfachen Gegensatz von Aktiv und Passiv zu begnügen. Es ginge darum, die Gewalt des Subjekt-Prädikat-Objekt Satzes im Aktiv aufzulösen und damit andere Erzählweisen und demokratisches Sprechen herzustellen.