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22.09.2016

Wahlkampfroman 2016. „So wird das Leben.“ 8. Folge.

Wahlkampfroman 2016.

So wird das Leben.

Achte Folge.1

Vroni mußte dann das handy auf den Boden legen und mit der linken Hand betätigen. Mit der rechten ging alles noch zu langsam. Vroni hockte über dem handy und entsperrte und drückte auf den Notruf. Die anderen standen erstarrt. Der Mann an der Tür war wieder in die Wohnung zurück gegangen. Die Tür wurde geschlossen. Kristi lief auf die Tür zu und schlug mit der Hand dagegen. „Aufmachen.“ schrie sie. „Aufmachen. Sofort aufmachen.“ Die Tür wurde aufgerissen und wieder zugeschlagen und wieder aufgerissen. Vroni kauerte am Boden. Sie wollte gerade das handy aufheben und mit der Person am Notruf reden, da wurde sie zur Seite geworfen. Der Mann war aus der Wohnung gestürmt und hatte sie nicht gesehen. Vroni fiel nach links zur Seite. Das handy schlitterte davon. Der Mann war über sie gestürzt und auf dem Steinboden aufgeklatscht.

Vroni rappelte sich auf. Der Mann lag einen Augenblick still. Dann kroch auch er auf. Vroni saß schon. Der Mann richtete sich auf. Kurz sahen sie einander an. Dann schoß der Mann hoch und lief die Stufen hinunter.

Markus griff noch nach ihm und bekam ihn zu fassen. Der Mann entwand sich aber. Kristi schrie noch lauter, „Aufmachen.“ Mia telefonierte. Markus schaute dem davonlaufenden Mann nach. Dann beugte er sich über Vroni.

„Was tut dir weh.“ fragte er. Vroni seufzte. „Komm. Leg dich einfach wieder hin, wenn dir schwindlig ist.“ Markus kniete vor Vroni und legte seinen Arm um ihre Schulter. „Was tut weh.“ Vroni rappelte sich auf und lief an das Geländer. „Aufhalten.“ schrie sie. Es kamen Leute die Stiegen herauf. „Der ist doch schon weg.“ begütigte Markus. „Hast du das Haustor gehört.“ Vroni beugte sich weit vor. „Da hast du recht. Der ist noch nicht draußen.“ Markus sprang auf und lief die Stiegen hinunter. „Aufhalten.“ schrie Vroni. Mia schrie mit. Kristi läutete immer wieder an Chrobaths Wohnungstür. Von drinnen war Lärm zu hören, aber niemand kam aufmachen. Von unten tönten Rufe herauf. Vroni lief hinunter. Mia kam nach. Kristi schlug noch wütend gegen die Wohnungstür und drohte mit der Polizei.

Vroni fand dann Markus im Mezzanin. Zwei sehr junge Burschen hielten ihn fest. Markus versuchte, sich aus ihrem Griff zu entwinden. Frau Prokesch kam die Stiegen heraufgelaufen. Was denn los sei. „Aufhalten.“ sagte der eine Bursch. Der andere grinste verlegen. „Aber ich habe doch nicht ihn gemeint.“ Vroni zog Markus weg. „Das war doch der andere.“ Die beiden Burschen sahen einander an und schüttelten die Köpfe. Sie schienen nichts zu verstehen. Frau Prokesch rang nach Atem. „Also. Was ist hier los.“ Alle begannen zu reden. Am Ende war es dann Mia, die den Hergang erzählte. „Dann ist der doch noch im Haus.“ fragte Frau Prokesch. „Dann sollten wir die Polizei holen.“

Da läutete Vronis handy. Vroni kannte die Nummer nicht, aber es war aus den USA. Vroni fragte, wer da anrufe und es war Meran dran. Vroni hatte so lange nicht mit ihm gesprochen. Sie ging die Stiegen hinunter vor das Haus und setzte sich auf die Stufen zum Eingang.

Vroni hatte sich immer wieder vorgestellt, wie das sein würde, wenn sie mit Meran endlich wieder sprechen würde, aber nun konnte sie kaum reden. Es war so viel passiert. Vroni hatte auch gleich ein schlechtes Gewissen. Meran hatte flüchten müssen. Sie war ja nur an der Hand verletzt worden. Meran fragte, wie es ihr ginge. Vroni konnte nur „gut“ murmeln. Sie schaute auf ihre Hand hinunter. „Ich bin so froh, von dir zu hören.“ sagte sie. „I always thought of you.“ sagte Meran. Vroni nickte. „This is all very difficult.“ Meran seufzte. „Ich werde in Chicago bleiben. Ich kann keine Ausreise riskieren.“ Beide schwiegen lange. „Ich rufe dich wieder an, wenn ich besser weiß, wie das alles ist.“ sagte Meran. „Schick mir eine email Adresse.“ bat Vroni. „Dann können wir wenigstens schreiben.“ „Das mache ich. Mein Vronerl.“ Dann legte Meran auf. Das „Vronerl“ hatte er von Toni gelernt. Sie nannten einander „Vronerl“ und „Tonerl“ immer dann, wenn sie jemandem erklären wollten, daß sie Zwillinge waren. Meran hatte das gar nicht glauben wollen. Er hatte zuerst gedacht, Toni wäre Vronis Freund, weil sie so vertraut miteinander geredet hatten.

Vroni stand dann auf und ging zu dem winzigen Beserlpark vor dem Haus und setzte sich auf eine Bank. Ihr handy läutete. Es war aber nicht Meran. Vroni stellte das handy lautlos. Sie saß und schaute vor sich hin.

Ein Polizeiwagen kam gefahren. Zwei Polizisten läuteten an einer Glocke und gingen in das Haus. Der Krankenwagen hielt vor der Tür. Leute kamen und gingen. Vroni konnte nur dasitzen. Sie hatte das Gefühl, in einer zähen Masse eingefangen zu sein und sich nur in Zeitlupe bewegen zu können. Die Polizisten kamen wieder aus dem Haus. Markus ging zwischen ihnen. Sie stiegen in den Polizeiwagen ein und fuhren weg. Vroni verstand nichts. Es hatte ausgesehen, als würde Markus abgeführt werden. Aber das konnte doch nicht sein. Markus hatte nichts getan. Vroni stand auf, den Polizeiwagen aufzuhalten, aber es war zu spät. Vroni ließ sich wieder auf die Bank fallen. Sie hatte nichts gegessen. Die Kipferln für das Frühstück lagen noch in der Küche vom Onkel Franz. Sie hatte nur Kaffee getrunken und es war schon Nachmittag. Vroni legte sich auf die Bank. Im Liegen war ihr sofort wieder besser. Sie mußte auch lachen. Sie lag auf einer Parkbank wie eine Strotterin. Eine Frau, die ihren kleinen weißen Hund Gassi führte, zog den Hund rasch an ihr vorbei. Die Frau hatte sie nicht einmal angesehen, aber ihr Widerwillen gegen diese Person auf der Parkbank war unübersehbar. Vroni war alles gleichgültig.

Frau Prokesch holte Vroni dann ins Haus zurück. Mia und Kristi kochten mit Naeem und Pant ein Essen. Frau Prokesch hatte Vroni vom Balkon aus gesehen. „Wenn die beiden kochen, muß ich immer besonders lüften.“ erklärte sie Vroni. Sie nahm Vroni an der Hand und führte sie ins Haus zurück. „Sie müssen meine beiden Buben kennenlernen.“ sagte sie. „Die haben beide fast 2 Jahre gebraucht, bis sie in Wien gelandet sind. Sie haben währenddessen keine Schule besucht, und das holen wir jetzt alles nach. Der Naeem hat ein ganzes Jahr bei einem Schneider in Teheran im Keller gearbeitet, bis er das Geld beisammen hatte, weiter zu ziehen. Pant erzählt noch nicht so viel.“

Vroni hatte sich von Frau Prokesch ins Haus führen lassen. Sie wollte aber mit dem Lift fahren. Sie schaute die Stiegen hinauf. Man konnte bis hinauf zum Onkel Franz die Stiegen hinaufsehen. Vroni wollte nicht an der Wohnung von Chrobath vorbeigehen.

Die Wohnung von Frau Prokesch war sehr hell. Naeem schnitt Gemüse. Pant rührte in einem Topf auf dem Herd. Mia und Kristi schauten zu. Sie redeten in einem Durcheinander aus Englisch und Deutsch. Frau Prokesch fragte Vroni, ob sie auch einen Tee trinken wolle. Vroni setzte sich auf das hellblaue Sofa bei den Fenstern. „Was ist denn nur passiert,“ fragte sie. „Was macht die Polizei mit diesem Markus. Ist der verhaftet worden.“

Frau Prokesch brachte den Tee und setzte sich zu Vroni. „Aber nein. Der macht eine Anzeige.“ „Und haben die den Namen von diesem Kriminellen?“ Vroni konnte immer noch nicht schnell reden. Kristi rief aus der Küche, „Niemand weiß, wer das sein soll. Verstehst du.“ Vroni nickte. Wie sollte es anders sein. „Und die Sachbeschädigung.“ fragte sie. Kristi kam aus der Küche und setzte sich zu ihnen. „Auch da weiß niemand etwas.“ Frau Prokesch machte einen schmalen Mund. „Die machen sich lustig über uns.“ Kristi sagte das wütend. „Aber was kann man da wirklich machen.“ Während Vroni das fragte, wußte sie die Antwort. „Dann muß ich doch zur Polizei gehen. Aber die glauben mir doch jetzt sicher nichts. Wenn sie mir je etwas geglaubt hätten.“ Vroni setzte sich auf. „Ich möchte in einer von den alten Tatort-Folgen sein. Da, wo die Polizei noch so sozial ist und sich für alle Beteiligten so genau interessiert.“

„Ich mag nur den Tatort Münster.“ sagte Kristi. „Und vielleicht den aus Konstanz. Die Kommissarin da. Die ist so, wie du meinst. Oder?“ „Aber ihr wißt schon.“ Mia kam zum Sofa. „Das mit der Wahlverschiebung. Das stimmt. Ich habe es in den ORF-Nachrichten nachgeschaut. Die Bundespräsidentenwahl ist wirklich bis zum Dezember verschoben.“ „Dann ist mehr Zeit.“ meinte Frau Prokesch. „Das ist eine Chance. Es darf einfach nie mehr dazu kommen, daß die Geburt von Menschen über ihr Schicksal entscheidet. Das ist das, was dieser Höflein möchte. Ein unveränderbares Schicksal durch die Geburt.“ „Aber warum.“ fragte Kristi. Naeem und Pant waren aus der Küche zu hören. Sie lachten und redeten in ihrer Sprache. „Die wollen siegen.“ sagte Vroni. „Die wollen nicht glücklich sein. Die wollen nur siegen.“ „Wir sollten den Tisch decken.“ sagte Frau Prokesch. Vroni sah das Licht in ihrem handy angehen. Sie schaute nach. Es war ihre Mutter. „Vroni. Es gibt schreckliche Nachrichten.“ sagte sie.

1 Diese Folge ist stellvertretend für die etwa 900 unbegleiteten Jugendlichen im Camp in Calais dem 13jährigen Buben aus Afghanistan gewidmet, der am Sonntag, dem 18.9. beim Versuch auf einen Lastwagen zu klettern zu Tode fiel. Es wird berichtet, daß der Bub von einem anderen Jugendlichen auf den Lastwagen hinaufgezogen werden sollte und dabei abrutschte. Er stürzte auf die Straße und wurde von einem Auto überfahren. Das Auto wurde nicht angehalten.