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18.08.2016

Wahlkampfroman 2016. “So wird das Leben.” 3. Folge.

Wahlkampfroman 2016.

So wird das Leben.

Dritte Folge.1

Vroni hatte den Angreifer erkannt gehabt. Schon bei den ersten Fragen des Polizisten hatte sie nicht mit „Nein“ antworten können. Aber da war sie wie gelähmt gewesen und hatte gar nichts sagen können. In der Rettung hatte sie sich schon an das Gesicht erinnert. Immer wieder war ihr dieses Gesicht in den Sinn gekommen und wie sie gesehen hatte, daß dieser Mann erschrocken dreingeschaut hatte. Er hatte sich die Zorromaske vom Gesicht gezogen und sie einen Augenblick verschreckt angestarrt. Dann war er die Stiegen hinunter davon galoppiert.

Sie war aber dann nach dem Spital wieder in der Wohnung vom Onkel Franz zurück, als ihr einfiel, daß sie diesen Mann aus den Vorlesungen im Seminarraum 1 vom Institut für Zeitgeschichte kannte. Das letzte Mal hatte sie ihn beim Vortrag „Der Handlungsspielraum der Opfer: Politiken des Widerstands gegen die Menschenversuche im Nationalsozialismus“ von Paul Weindling gesehen.

Vroni hatte gerade mit ihrer Mutter geredet und gesagt, daß sie gerne ein Hühnersandwich essen würde, und da war es ihr eingefallen. Der junge Mann war mit einer älteren Frau da gewesen. Vroni hatte damals gedacht, daß das seine Mutter sein könnte. Er hatte seinen dunkelgrünen Rucksack auf einen Sessel zwischen diese Frau und sich gestellt gehabt und Vroni hatte ihn auffordern müssen, seinen Rucksack wegzunehmen und zur Seite zu rücken. Der Seminarraum war überfüllt gewesen. Trotzdem hatte der junge Mann seinen Rucksack nur widerwillig von dem Sessel genommen. Da war ihr wiederum schon eingefallen gewesen, daß sie diesen Studenten schon oft bei den Vorträgen im Seminarraum 1 gesehen hatte. Er war ihr aufgefallen, weil er nie mitschrieb und immer zurückgelehnt die Vortragenden fixierte. Er war dann mitten im Weindling- Vortrag weggegangen. Vroni war neben ihm gesessen und er hatte sich sehr dicht an ihr vorbei hinausgedrängt. Vroni wußte aber keinen Namen von diesem Mann.

Vronis Mutter war nach dem Überfall sofort aus Graz zu Vroni nach Wien gekommen und hatte Vronis Freundin Evelyn mitgebracht. Die Mutter konnte aber nur einen Tag bleiben. Sie arbeitete im Controlling in einem Medienbetrieb in der Steiermark und wegen der anstehenden Generalintendantenwahl gab es Gerüchte, daß große Strukturreformen zu erwarten waren. Der blaue Betriebsrat hatte beim Sommerfest bei der Erdbeerbowle durchblicken lassen, daß er die Frage der Autochthonie schon einmal ernst nehmen wolle und hatte eine Umfrage begonnen, wer von den Angestellten und den freien Mitarbeitern in der dritten Generation Österreicher sei und deshalb für den Bezug aller Sozialleistungen berechtigt wäre. Vronis Mutter hieß Manca und der blaue Betriebsrat erkundigte sich scherzend, was denn das für ein Name sei. Ein österreichischer Name sei das ja nun nicht und ob er sich für Vronis Mutter einsetzen solle, damit sie nicht in die Kategorie Ausländer gerate. Sie habe ja nun ihr ganzes Arbeitsleben in Österreich investiert und er könne da sicher etwas machen, wenn sie dann an der Macht wären. Die sozialdemokratischen Betriebsräte lachten über diese Bemerkungen und die schwarzen Betriebsräte schauten dem blauen Betriebsrat mit Verständnis zu. Vronis Mutter hatte deshalb Angst und wollte unter keinen Umständen einen Anlaß für Unzufriedenheit mit ihr geben. Aber sie fragte sich, ob es richtig gewesen war, die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen.

Evelyn hatte ihr Strickzeug mitgebracht und setzte sich zu Vroni. Vroni hatte schreckliche Schmerzen. Die junge Ärztin in der Ambulanz im AKH hatte sich den Hergang der Verletzung schildern lassen und hatte dann genickt. Da hätte Vroni Glück gehabt. Gegen den Arm des alten Manns hätte ihre Hand dem Schlag durch den Baseballschläger so weit ausweichen können, daß zumindest keine Brüche entstanden wären. Die Prellungen wären aber schmerzhaft genug. Die Ärztin gab Vroni 3 Parkemed für die allernächste Zeit. Alle anderen Verschreibungen sollte Vroni sich bei ihrem Hausarzt besorgen, dafür sei die Ambulanz nicht zuständig. Vroni versuchte, der Ärztin zu erklären, daß ihre Hausärztin in Graz wäre und sie nur zu Besuch in Wien. Aber auch der Hinweis, daß Vroni das Opfer einer Kriminaltat geworden war, half nichts. Die Ambulanz war nicht zuständig und Ausnahmen wurden nicht gemacht. Auch Frau Fischer sagte, daß es sich doch nur um ein Rezept handle und daß niemand verlange, daß die Ambulanz das Medikament verschenken solle. Vroni bekam keine Verschreibung. Da hatte sie dann richtig zu weinen begonnen.

Gerade da war der Toni gekommen und der hatte sich um alles gekümmert. Die Frau Fischer hatte ihn auf Vronis handy angerufen. Er war ja ohnehin im AKH in der Bibliothek zum Lernen gewesen und er hatte das Medikament auf der Herzstation besorgt, auf der er gerade in der Abendschicht famulierte. „Hier kann man nichts mehr regeln, ohne jemanden zu kennen.“ hatte Frau Fischer gesagt. „Bei der Mafia kann es nicht schlimmer sein. So viel zu unserem tollen Gesundheitssystem.“

Vroni nahm dann alle zwei Stunden ein Parkemed. Die Schmerzen erinnerten sie an den Überfall und wie der alte Chrobath dagelegen hatte und es noch genossen hatte, daß sie gegen ihn machtlos sein würde. „Maximus“ fiel ihr immer wieder ein. Das war wohl der Verbindungsname von diesem Mann. Vroni kannte sich bei Burschenschaften nicht aus, aber sie wußte, daß die sich neue Namen suchten. Der kleine Herr Chrobath als Maximus. Das war gar nicht komisch. Vroni mußte auch die ganze Zeit überlegen, ob sie nicht doch bei der Polizei etwas über diesen Studenten sagen sollte. Vroni hatte aber gehört, daß die Polizeigewerkschaft von der FPÖ beherrscht wurde, und sie dachte, daß der Chrobath und seine Burschenschafter von denen geschützt werden würden und sie nicht.

Dann kam die Frau Prokesch zu Besuch. Es läutete an der Wohnungstür und Evelyn ging aufmachen. Sie kam mit einer Frau ins Wohnzimmer zurück und sagte, „Das ist die Frau Prokesch. Sie ist eine Nachbarin von dir und will dich sprechen. Dann hast du ja Gesellschaft. Ich gehe rasch einkaufen.“

Die Frau Prokesch trug ein mintgrünes Leinenkleid und mintgrüne Ballerinas und sie hatte einen Vuittonbeutel mit. Vroni dachte, daß sie so um die Fünfzig war wie ihre Mutter. Die Frau Prokesch setzte sich Vroni gegenüber. „Sie haben sozusagen große Schmerzen.“ sagte sie. Vroni konnte nur nicken. „Das waren sozusagen Identitäre, die diesen Überfall gemacht haben.“ Vroni zuckte mit den Schultern. Ganz genau konnte sie das ja nicht sagen. „Das ist sozusagen ein weiterer Schritt in der Eskalation zwischen dem Chrobath und dem Waldner.“ Auch das wußte Vroni nicht wirklich. Die Frau Prokesch starrte Vroni an. Vroni dachte, daß diese Frau eine neugierige Tussi sei und schaute auf den Vuittonbeutel. „Das ist ihr Onkel.“ fragte die Frau. „Großonkel.“ besserte Vroni aus. „Gut.“ sagte Frau Prokesch. „Ihr Großonkel.“ Dann starrte die Frau wieder auf Vronis Hand. „Ich mache mir große Sorgen.“ sagte sie. Vroni zuckte wieder mit den Achseln. Sie konnte im Gesicht dieser Frau keine Sorgen sehen. Sie konnte im Gesicht dieser Frau überhaupt keine Gefühle sehen. Die war doch nur eine neugierige Spießerin. „Wenn dieser Höflein die Wahlen gewinnt. Der braucht nur sagen „Ich gelobe.“, und sein nächster Satz kann schon sein, „Ich entlasse die gesamte Regierung und löse den Nationalrat auf.“ Vroni mußte seufzen. Ging das wirklich so einfach. Sie konnte sich das nicht vorstellen. Es gab doch eine Verfassung, die genau das verhindern sollte. Österreich war doch ein demokratisches Land. Da konnte niemand so einfach die Volksvertretung auflösen. „Es ist sich sozusagen niemand im Klaren wie gefährlich unsere Situation ist. Ich bin Juristin, wissen Sie.“

Frau Prokesch hatte sich weit zu Vroni hinüber vorgebeugt. Vroni lehnte sich zurück und die Hand schmerzte gleich wieder höllisch. Vroni wollte wieder ein Parkemed nehmen. Sie griff nach der Schachtel auf dem Tischchen vor dem Sofa. Frau Prokesch kam ihr zuvor. Sie hielt die Packung fragend hoch. Vroni nickte und Frau Prokesch ging in die Küche. Sie kam mit einem Glas frischen Wassers zurück. Vroni nahm die Tablette. Frau Prokesch schaute ihr zu. „Ich mache mir Sorgen wegen meiner Buben. Wissen Sie. Mein Mann und ich. Wir sind Paten von zwei pakistanischen Teenagern, die unbetreut nach Wien geflüchtet sind und hier jetzt einmal einen vorläufigen Aufenthalt haben. Die haben 2 Jahre für den Weg hierher gebraucht. Wissen Sie. Die holen jetzt sozusagen in aller Eile ihre Schulbildung nach und das geht alles sehr gut. Aber was wird aus denen. Was soll aus denen werden. “ Die Frau Prokesch stand wieder auf. Sie schaute auf Vroni hinunter. „Geben Sie auf sich acht. Es tut mir leid, was Ihnen passiert ist. Ich komme sie wieder besuchen.“ Frau Prokesch nahm ihren Vuittonbeutel. Vroni setzte sich auf. „Können Sie noch bleiben.“ fragte sie. Die Frau Prokesch setzte sich. „Sie können nicht allein in der Wohnung bleiben?“ Vroni seufzte. „Das ist sozusagen normal. Unter den Umständen.“ lächelte Frau Prokesch und blieb sitzen. Vroni wußte immer noch nicht, wie sie diese Frau einschätzen sollte, aber sie war sehr froh, daß sie bei ihr blieb.

Evelyn kam dann zurück. Frau Prokesch verabschiedete sich. Evelyn meinte, daß die nett sei. Vroni konnte nichts sagen. Sie ging ins Badezimmer und ließ sich lauwarmes Wasser ins Waschbecken ein. Vroni hatte im internet herausgefunden, daß man bei Prellungen nach 24 Stunden mit Bewegungsübungen in lauwarmem Wasser beginnen solle.

Vroni stand vor dem Waschbecken und ließ ihre rechte Hand im lauwarmen Wasser schwimmen. Sie konnte sich nicht dazu durchringen, eine Faust zu machen. Ihr ganzer Körper sträubte sich dagegen und ihr Solarplexus krampfte. Es läutete an der Tür. Evelyn ging hin. Nach langem kam sie zu Vroni ins Badezimmer zurück und sagte, „Da war jetzt ein Ausländer da. Weißt du. Dunkle Augen. Dunkle Haare. Aber ich hab ihn weggescheucht. Wir brauchen keinen Koran, habe ich ihm gesagt. Mach dir keine Sorgen. Ich habe nur durch die Tür mit dem geredet. Ich habe die Tür nicht einmal aufgemacht.“

„Hat der einen langen Bart gehabt,“ fragte Vroni. „Nein.“ Evelyn überlegte. „Eher so einen Dreitagesbart. Der hat ganz gut ausgeschaut. Eigentlich.“ „Evelyn. Hast du. Nein. Du hast den Meran nie gesehen. Evelyn! Das kann der Meran gewesen sein.“ Vroni stürzte zur Tür. Sie mußte mit der linken Hand die vielen Schlösser aufsperren. Die rechte Hand hatte sofort zu pochen begonnen. Auf dem Gang war niemand zu sehen. Vroni stand in der Tür. Sie war sicher, daß das Meran gewesen war, der zu ihr gewollt hatte. Wo war er jetzt.

1 Diese Folge ist Maida Yakubu und ihren 275 Mitschülerinnen gewidmet, die im April 2014 von Boko Haram Kämpfern aus einer Schule im Nordosten von Nigeria entführt worden waren. In einem gerade veröffentlichten Video sagte Maida Yakubu; „There is no kind of suffering we haven’t seen…“ Boko Haram bietet die noch lebenden Mädchen im Austausch gegen gefangengenommene Boko Haram Kämpfer an.