Werk.

03.2000 · Text.

Wenn alles in Ordnung ist, dann hat die Verzweiflung ihre beste Zeit.

Bayrischer Rundfunk.
Erstveröffentlichung: 03.2000

Es geht um Ordnung. In der Sache Haider und die Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen Partei Österreichs. Es geht um diese eine Ordnung. Ganz einfach und grundlegend um die Frage, wie alles geordnet sein kann. Und alles meint alles. Und. Es geht darum, wie alles und darin auch das Denken an diese eine Ordnung abgegeben werden kann. Und man sich sicher fühlen kann. Sicher. Gerettet. Entkommen. Aufgehoben.

Das mit der Ordnung. Das wird etwas verschämter ausgedrückt. So war der schon wieder zurückgetretene Justizminister Krüger ein „law and order“ Mann. Law and order. Da stellen sich gleich Filmbilder ein. Sheriffs reiten da herum und tun, was Männer tun müssen. Da sind die Guten und die Bösen säuberlich voneinander getrennt. Da bietet Hollywood bunte Fertigteilmännerideologie an. Und natürlich wird in Österreich sich keiner aufs Pferd schwingen und herumballern. Aber. Sexualstraftäter sollen chemisch kastriert werden. Da sind wir dann doch in Hollywood angelangt. Strafe als Rache. Es wurde ja viel aufgeknüpft im Wilden Westen. Hingerichtet wird in Kalifornien auch längst wieder. Die körperliche Bestrafung in Österreich ist ein erster kleiner Schritt in Richtung Todesstrafe. Therapie und Resozialisierung. Diese Begriffe haben ausgedient. Es gibt keine Vorstellung von der Änderbarkeit des Menschen. Obwohl. Der Bundeskanzler Schüssel. Der hat uns wochenlang erklärt, Jörg Haider werde sich ändern. Werde verantwortungsbewusster werden. Er. Der Bundeskanzler Schüssel. Er werde sich verbürgen dafür. „Solange er politisch atme, werde er sich dafür verbürgen, sagte er. Was im Strafrecht verneint werden soll, wird Jörg Haider zugestanden. Jörg Haider werde sich ändern. Das hat der nicht und das wird der nicht. Der Rücktritt Haiders als FPÖ Vorsitzender ist auch eine Entwindung aus der Erziehungsgewalt Schüssels. Dieser Rücktritt ist eine Art Emanzipation Haiders aus Schüssels Vormundschaft. Mir hat sich immer die Frage gestellt, wie Haider Sätze wie Schüssel verbürge sich für ihn oder dass er, Haider es lernen werde, ertragen konnte. Wie Haider ausgehalten hat, dass Schüssel immer den Vorzugsschüler herauskehrte und auf den schlimmen Neuen pädagogisch einwirkte.

Die Paarung Schüssel/Haider wird uns trotz des Rücktritts nicht verloren gehen. Im Gegenteil. Es wird lustiger werden. Es wird eine Konkurrenz Schüssel gegen Haider werden.

Haider wird seine Sprachschmutzarbeit als Landeshauptmann von Kärnten weitermachen und damit den Rand nach rechts außen verbreitern. Schüssel und Co werden in Halbentrüstung jeweils weiter an diesen Rand rücken. Mit jeden „Haider hat nicht recht, aber man muß doch sagen.“ Oder „Man muß doch sagen dürfen, dass..“ wird eine Teilverteidigung vorgenommen, die wie jede Äußerung prägend auf die Äußerer zurückwirkt. Die österreichische Volkspartei wird jedenfalls mehr an FPÖ-Färbung annehmen. Das sind die unvermeidlichen Folgen von koalitionärer Geiselhaft. Und vielleicht. Wer weiß. Ist diese Entwicklung genauso kalkuliert. Vielleicht möchte die ÖVP sich ein wenig rechts außen stählen lassen und so selbst rechts wählbarer werden. Vielleicht möchte die ÖVP von der Mitte weg alles nach rechts abdecken und der FPÖ bei den nächsten Wahlen Stimmen wegnehmen. Das Rezept ist ja bekannt. Die bayrische Lösung sieht längst so aus. Die Rettung des Abendlands im Namen des katholischen Kreuzes ist keine ausgestorbene Fantasie. Im Gegenteil. So hat man unter dem Schlagwort Familienpolitik in aller Stille an allen Formen von Emanzipation genagt und durchaus die Korrosion dieses Begriffs erreicht. Die Koalition Kirche und bürgerlich regionalistische Partei hat es so geschafft, die meisten Errungenschaften der Frauenbewegung etwa zu refamiliarisieren. Die Frau wird nur noch in Relation zu ihren Lebensabschnitten gesehen, Wie sie ihren Aufgaben in der Familie nachkommen kann. Subjekt ihrer selbst ist sie längst nicht mehr, In der Zeitschrift „Die Bunte“ kann man die Familienidylle Bayern dann in Farbe ansehen. Die Frage, was Frau Stoiber nach Bayreuth anzieht, wird nach Wien exportiert die Frage, welche Robe Frau Schüssel auf den Opernball tragen wird. Robe heißt übrigens „das geraubte Kleidungsstück. Das erbeutete Kleid. Die Opernballdemonstration wird das heuer wieder etymologisch korrekt interpretieren und die Luxusauftritte in Frage stellen.

Und da sind wir im Zentrum der Ordnungsfrage angekommen.Die mit den letzten Wahlen gemeinte Ordnung solle eine bewahrende Ordnung sein. Eine besitzbewahrende Ordnung. Regeln sind erwünscht, die die schützen sollen, die in ihren Roben exhibitionieren wollen. Es geht um einen Freibrief für die Besitzer gegen den Wohlfahrtsstaat. Man hat das Geld gemacht und was hätte man davon, könnte es nicht hergezeigt werden. Und das öffentlich. Schamlosigkeit in den Ritualen ist eine Erbschaft aus der Monarchie und in einer Art historistischen Heimkindsyndroms nimmt sich hier jeder oder jede die Teilnahme an solchen Ritualen als Recht heraus. Ein Recht, das vom Staat zu verteidigen ist. Und so entsteht ein schön verdrehtes Sozialpanorama. Die, die haben, sehen sich zu kurz gekommen. Was hier über bürgerlich rechts versucht wird, zielt auf eine Reinstallierung der Klassengesellschaft. Das heißt nicht so. Das heißt „Erfordernisse des Kapitalmarkt“ Das heißt Globalisierung. Das nennt sich „Wirtschaftsstandortaufwertung.“ Und das neue mutige Reformprogramm der ÖVP/FPÖ Koalition wird Österreich dahin führen. Endgültig. Erworbenes soll gesichert werden. Abenteuer wie eine EU-Osterweiterung kann man da nicht brauchen.

Wie lässt sich Ordnung aber nun sagen. Wie findet eine Ordnung des Habens Sprache. Wie lässt sich dieser Kriegszustand sagen. Die augenfälligste Form ist zunächst der Kampfruf „Ausländer raus“ auf FPÖ Wahlplakaten und ist so wortwörtlicher Ausdruck. Weniger deutlich, aber ungleich wirksamer ist der Einsatz der Metapher. Die Metapher, patriarchale Weltschöpfung in Sprache war immer ein Mittel der Bedeutungsverschiebung. Im rechten Sprachgebrauch wird die Metapher dann entleert. Sie wird zur Quasimetapher. Wenn Haider sagt, er werde in der Politik ausmisten, dann hören Arglose einen Vergleich. Dann denken Arglose an Augiasställe und Heldentaten. Haidereingechworene hören das wörtlicher. Sie sehen die Mistgabeln, mit denen ausgemistet wird und wie die sich als Waffe eignen. Diese Wörtlichkeit ist tödlich. An ihr sind Menschen gestorben. An ihr ist Franz Fuchs, das Bombenhirn aus der Steiermark zum Mörder geworden. Franz fuchs hat die schmale Grenze zwischen Sagen und Tun überschritten. Er hat nicht begriffen, dass es genügt, es so zu sagen und dann, wenn genug andere es auch so sagen, dieses „so“ durchaus demokratisch an den Staat delegiert wird. Wie in allen anderen EU Staaten, wird auch in Österreich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit am besten vom Staat verwaltet. Ist in den Regeln der Asylgesetze und ihrer Durchführung niedergeschrieben. Franz Fuchs hat es nicht falsch gemacht. Er hat es nur übertrieben. Und deshalb sind auch alle über seinen allseits erwarteten Selbstmord erleichtert. Die, die es zu richtig machen. Die ist man gerne los. Man kann im österreichischen Fernsehen jederzeit Sätze sagen wie „Die Slovenen, die sind ein Volk von Slalomfahrern. Die haben das im Blut.“ Aber die Konsequenzen aus solchen metaphorischen Konstruktionen des Anderen in Tateinheit mit der Wörtlichkeit des „Ausländer raus“. Das ist zu ordentlich. Problemlösungen sollen in Ordnung vor sich gehen. Wie gesagt. Wenn genügend Menschen es so sagen, dann kann es demokratisch sauber erledig werden. Staatlich. So gesehen bedarf es keiner rechtsradikalen Gewalttäter, die das in die Hand nehmen. In Österreich gibt es 27 % der Wähler vom 3. Oktober, die das demokratisch riskieren.

Was es jetzt auch gibt. In Österreich. Das ist eine Entfesselung der Linken und Teilen der Mitte. Das Heimkindsyndrom des Österreichers und der Österreicherin wirkte sich in einer besonders großen Sehnsucht nach Harmonie aus. Nach Ruhe und Gemütlichkeit lechzte man. Mit der Auslösung der großen Koalition war die Harmonie aufgesagt. Und. Es ging trotzdem weiter. Auch ohne Ruhe. Ohne Gemütlichkeit kein Atemstillstand. Im Gegenteil. Erleichterung ist es, was zu spüren ist. Und alles liegt offen da. Ist zu sehen. Zu besprechen. In dem kurzen Augenblick anarchischer Bezauberung bei der großen Demonstration am 19. Feber in Wien. Als einen langen Nachmittag alle Regeln außer Kraft gesetzt waren. Außer Kraft treten konnten, weil 300 000 Personen sich auf Freundlichkeit geeinigt hatten. Auf friedliches Verständnis und Verständigung. Da war dieser Augenblick Beweis der Möglichkeiten. Von Änderung. Veränderungen. Anders sein, Tugenden traten in Erscheinung. Toleranz. Geschwisterlichkeit. Platz für jeden. Platz in dieser unübersehbaren Menschenmenge. Wir gingen über den Ring. Die Straße gehörte allen. Keinem mehr und keinem weniger. Kein Blick erhob Anspruch auf den Ort. Schloß aus. Nur lächeln war da. Und keine Angst.

Der 19, Februar war ein Versuch. Das war ein gelungener Versuch. Wenn es eine Möglichkeit gibt, dieser neuerlichen Ordnung der Ordnung zu entkommen, dann war sie an diesem 19. Feber zu finden. Jeder und jede denken selber weiter und delegieren nichts an ein Übergeordnetes. In einer Poetik des Bestehens auf das eigene politische Denken und Überprüfen in eigenen Sprache und Rede könnte eine Zukunft liegen. Zu hoffen bleibt, dass was hier zaghaft an neuem Ausdruck entsteht, nicht von der Politik vereinnahmt wird.

Angst. Das ist ja wohl das, was allem zugrunde liegt. Das ist die Angst der Zeiten nach dem Krieg. Haider ist mein Jahrgang. Wir wuchsen im besetzten Österreich auf, wie es in unseren Lehrbüchern dann hieß und in den Lehrbüchern der Alliierten Befreiung genannt wird. Die Väter waren aus dem Krieg als Verlierer zurückgekommen. Hatten die Rolle des Eroberers, Verteidigers, des Beschützers nicht erfüllen können. Die Eltern hatten zugesehen, wie die Juden abgeholt worden waren. Und dann war das falsch gewesen. Viel Schuld. Wenig Schuldbewusstsein. Und uns war alles verschwiegen worden. Auf die Bedrohung durch das Nichtgesagte gab es nur Angst. Entsetzliche Angst. Lebensbestimmende Angst. Und die Entscheidung, zu wem man gehören wollte, zu denen, die abholen oder zu denen, die abgeholt wurden. Und diese Entscheidung war einem früh abverlangt. Spätestens in der Schulpause im Hof und ob man die Heimkinder traktierte oder nicht. Und weiter nur Schweigen. Nicht einmal ein Wort über die Heimkinder, Woher die kamen. Warum die da waren. Von der Konstruktion männliches Kind war diese Entscheidung früh verlangt. Und in aller Klarheit und Härte. Die Eltern sagten nichts. Und die Kirche begann damals mit dem ihre Mitschuld verdeckenden Aufarbeitungskitsch.

Angstbewältigung ist Trauerarbeit für den imaginierten Todesfall. Den eigenen wohl meistens. Wie sollte damals bewältigt werden, wenn der wirkliche Todesfall nicht besprochen wurde. Nicht benannt war. So bleibt Angst erhalten. So wird sie erhalten. Zur Konstruktion eines Anderen, das im Zaum gehalten werden muß. Gebändigt. Angst ist der Klebstoff für Masse. Angst garantiert sprachlose Verständigung in der Einigung auf einen Feind. Und irgendwann dann. Wenn die Angst gut erlernt ist, dann kann man auf die Jagd gehen. Und sie genießen. Ungeniert.

In Österreich gibt es eine Diskussion unter Intellektuellen, ob es demokratische Werte überhaupt gibt. Oder nur liberale. Mir erscheint das müßig. Wenn die Welt in Menschen auseinanderklafft, die vormodern politisch handeln, dann müssen die Kriterien der Analyse neu überdacht werden.