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01.09.2016

Wahlkampfroman 2016. “So wird das Leben.” 5. Folge.

Wahlkampfroman 2016.

So wird das Leben.

Fünfte Folge.1

Vroni war in die Wohnung vom Onkel Franz zurückgekehrt und hatte sofort mit der Unterwassergymnastik für ihre Hand begonnen. Vroni war im Badezimmer gestanden und hatte im lauwarmen Wasser des Waschbeckens ihre Hand doch zur Faust geballt. Das war mühsam gewesen. Vroni hatte das Gefühl gehabt, ein Hindernis überwinden zu müssen, das sich gar nicht in ihrer Hand befand. Dann war Vroni in der Wohnung herumgegangen und hatte die verletzte Hand baumeln lassen. Das hatte wiederum anders weh getan. Vroni hatte dann erschöpft von den Schmerzen schlafen gehen müssen. Sie hatte Toni nicht mehr gesehen und hatte nichts mit ihm besprechen können.

Am nächsten Morgen wachte Vroni auf und wußte gleich, daß es ihr wieder besser ging. Sie konnte die Hand immer noch nicht richtig gebrauchen, aber die Hand fühlte sich nicht mehr so leblos an. Vroni wollte so weit kommen, keine Schlinge tragen zu müssen. Der Gedanke, der Täter könne sie erkennen, machte Vroni große Angst. Sie hatte überlegt, daß die Armschlinge sie verraten könnte. Dann erinnerte sie sich an den Blick, mit dem der junge Mann sie angestarrt hatte, während er sich die Zorro-Maske heruntergezogen hatte. Vroni dachte, sie müsse sich doch vollkommen verändern. Sie drehte ihre langen Haare oben am Kopf zusammen und schnitt die Haare dort knapp am Kopf ab. Dann schnippelte sie die wegstehenden Strähnen weg und schaute in den Spiegel. Sie schaute jetzt fast wie der Toni aus und deshalb borgte sie sich das Haargel und eine Jacke von ihm.

Vroni war den ganzen Tag nervös. Sie mußte sich vor den Fernsehapparat setzen und wollte alle Serien auf allen Sendern anschauen. Dann aber wurden auf allen Sendern Folgen von „Two and a half men“ gespielt. Charly Sheen war auf ATV in einer midlife crisis. Auf Puls4 war er sehr jung. Auf ORF1 war die Charly Sheen-Figur schon tot. Es blieb Vroni nichts anderes übrig als sich ein Buch vom Onkel Franz zu nehmen. Es fiel ihr „Schillers Werke. Achter Band“ in die Hand. In der „Selbstrecension“ Schillers von „Die Räuber.“ las sie „Wir lieben das Ausschließende in der Liebe und überall.“ Da mußte sie wieder an Meran denken. Sie schrieb ihm eine lange email und erzählte ihm von ihrem Vorhaben. Bei Meran in Chicago war es gerade sehr früher Morgen und er würde erst antworten können, wenn sie schon wieder im Café Leopold war.

Dann kamen Frau Fischer und ihre Tochter Mia vorbei. Mia blieb noch länger und sie diskutierten, wohin sie für ihr Auslandssemester gehen sollten. Mia wollte nach Italien, aber Vroni hatte gehört, daß es an den italienischen Universitäten besonders schwierig sei, Anschluß zu finden. Sie mußten beide über den Ausdruck „Anschluß finden“ lachen. Mia sagte, daß sie keinen Anschluß suchen müsse, sie ginge mit ihren Freundinnen dahin. Anschluß, das wäre doch peinlich. „Anschluß. Das brauchen doch wirklich nur die, die es gar nicht zustande bringen. Das ist doch in Wien auch nicht anders, wenn man aus Oberösterreich kommt oder so. Da lebt man mit und irgendwann gehört man dazu. Das ist doch ganz einfach.“

Vroni war dann viel zu früh dran. Im Café Leopold waren spätnachmittäglich alle Tische leer. Vroni setzte sich mit dem Buch in die Ecke und las Schillers Bericht an den Herzog Karl über sich selbst und seine Mitzöglinge. Schiller war damals 15 Jahre alt und wurde im Schloß Solitude zum Regimentsarzt ausgebildet. Das schien mehr ein Erziehungsgefängnis gewesen zu sein als eine Schule. Vroni mußte sich auch immer wieder vorsagen, daß der Autor da fast noch ein Kind gewesen war als er diese Texte geschrieben hatte, und daß er zu einem solchen Bericht über seine Mitschüler sicher gezwungen worden war. Aber ein Gefühl des Verrats blieb. Es war Überwachung und Urteil über die anderen, was da geschrieben stand.

Vroni las und die Kellnerin brachte ihr die Melange. Dann war Schichtwechsel und der Kellner vom Vortag war wieder da. Er kam an Vronis Tisch und musterte sie. Vroni bestellte gleich einen weißen Spritzer, damit er sie nicht so lange anschaute. Der Mann fragte aber doch, was sie mit ihren Haaren gemacht habe. Vroni wußte keine Antwort und wurde rot. Der Mann nickte aber und sagte, er verstünde schon. „Ich mache auch immer zu viel, wenn ich mich verliebt habe.“ Vroni grinste zustimmend.

Vroni las gerade Schillers „Beobachtungen bei der Leichen-Öffnung des Eleve Hillers.“, da stürmten drei junge Männer herein. Sie liefen an die Theke, umzingelten den Kellner. Sie riefen „Bier.“ „Katastrophe.“ „Hilfe.“ Der Kellner beruhigte sie und sie gingen alle in das Raucherzimmer. Vroni konnte nichts mehr hören.

Vroni saß da und schaute vor sich hin. Sie hatte ihre Hand auf den Tisch gelegt. Die Hand war geschwollen und dunkellila Flecken hatten sich am Handballen gebildet. Auf dem Handrücken war die Haut gelblich grün. Schiller war 19 Jahre alt gewesen, als er über diese Leichenöffnung berichten mußte.

Die jungen Männer stürmten wieder hinaus. Der Kellner kam an ihren Tisch. „Wie wichtig ist dir der Kerl.“ fragte er. Vroni schaute ihn erstaunt an. „Na, du weißt schon.“ sagte der Kellner. Vroni seufzte. „Du. Ich kenn dich aus der Globalgeschichte. Hörsaal 41. Du sitzt doch immer in der Mitte da.“ Vroni lehnte sich zurück. „Ja?“ sagte sie. „Na. Wenn du dich auf den stehst. Da drüben.“ Der Mann deutete auf das Haus über der Straße. „Dann kannst du mir helfen. Die haben ihr Bier nicht geliefert bekommen und ich brauche Hilfe. Das ist doch eine Gelegenheit. Oder?“ „Und warum sollte ich dir helfen.“ fragte Vroni. Der Mann schaute sich um. Dann hielt er Vroni die Hand hin. „Ich bin der Adrian. Ich bin schwul und ich will da nicht alleine hingehen.“ „Aber wenn du ihnen doch ihr Bier bringst.“ sagte Vroni und gab ihm ihre linke Hand. Adrian schüttelte den Kopf. So wären zwei Fliegen mit einem Schlag erledigt. Er habe eine Zeugin, weil er denen nicht traute und sie könne sich nach ihrem Kerl umsehen. „Oder willst du zu denen gehören.“ fragte Adrian. Vroni schüttelte den Kopf. „Nein. Und ich will ja nur seinen Namen.“ Adrian zuckte mit den Achseln. Dann hätte sie doch einen Deal.

Es war dann alles ganz einfach. Adrian hatte zwei Fässchen Bier auf eine Transportrodel gestapelt, und Vroni mußte ihm nur die Türen aufhalten. Das konnte sie auch mit der linken Hand machen. Vor dem Haus hatten sich viele Männer versammelt und warteten. Adrian bahnte sich einen Weg zur Seitentür und holperte mit der Rodel die Stiegen in das Vereinslokal hinunter. Zwei Burschen übernahmen die Fäßchen und schlossen sie an den Zapfhahn der langen Bar an. Ein älterer Mann besprach mit Adrian die Bezahlung. Vroni stand in der Ecke bei der Bar, da strömten die Männer herunter. „Er kommt.“ hieß es. Immer wieder wurde gerufen „Er kommt.“ Der Vereinsraum füllte sich.

Vroni konnte gar nicht mehr weg, so voll war es plötzlich. Sie hatte Angst vor dem Gedränge und daß ihr jemand gegen ihre Hand stoßen könnte. Vroni zog sich in die äußerste Ecke zurück. Sie stand halb von der offenstehenden Tür versteckt. Der Höflein ging ganz knapp an ihr vorbei. Er lächelte verschwörerisch glücklich.

„Meine lieben Freunde. Österreich steht vor großen Veränderungen.“ Der Mann war auf die kleine Bühne gesprungen. Die Tonanlage übersteuerte und nach den „großen Veränderungen“ wurde der Pfeifton überlaut. Es wurde gepfiffen und gejohlt. „Da hat es unser Gegner wieder versucht.“ sagte Höflein, nachdem die Tonanlage wieder in Ordnung gebracht war. Wirre Rufe waren zu hören. Vroni verstand nichts. „Ich schieße einfach gerne.“ Höflein schien auf einen Zuruf zu reagieren. „Ich schieße einfach gerne. Das ist für mich ein schöner Sport. Es ist immer ein Zeichen eines autoritären Regimes, wenn man die Bürger entwaffnet.“ Wieder kamen Rufe aus dem Publikum. „Was wäre ihre Lieblingsregierungskonstellation.“ konnte Vroni hören.

„Eine Regierung,“ antwortete der Mann, „die sich tatsächlich für Österreich einsetzt und weil es dann einen freiheitlichen Präsidenten, einen freiheitlichen Bundeskanzler und einen freiheitlichen Parlamentspräsidenten geben wird, da werden Sie sich wundern, was alles gehen wird.“ Es wurde applaudiert und gepfiffen. Wieder wurde herumgeschrieen. „Ich sage, die Ehe ist eine Partnerschaft, die Mann und Frau vorbehalten ist. Liebe Freunde, ich werde von dieser Linie nicht abgehen.“ Der Applaus stieg noch an. „Man kann nicht gleiches mit ungleichem vergleichen, solange es nicht möglich ist, daß zwei Männer ein Kind zeugen oder zwei Frauen ein Kind zeugen, so lange bin ich dafür, daß die Ehe Mann und Frau vorbehalten ist. Ich will auch, daß nur Paare aus Männern und Frauen das Recht haben, in Österreich Kinder zu adoptieren.“ Wieder Geschrei. „Wenn Österreich heute nicht Mitglied der europäischen Union wäre, wie würdet ihr abstimmen?“ Alle rund um Vroni schrieen „Nein.“ oder „No:“ „Ich habe gesagt,“ fuhr der Mann fort.“Ich habe gesagt, mit nein. Ich würde nicht für den Beitritt stimmen. Man hat mich gefragt, ob ich eine Ministerin mit Kopftuch angeloben würde. Ich habe gesagt, nein, das würde ich nicht tun. Und deshalb brauchen wir einen ordentlichen Grenzzaun und keinen Maschendrahtzaun. Einen Grenzzaun wie es ihn in Ungarn gibt. Genauso einen Zaun brauchen wir in Österreich. Wir müssen die Invasion der Muslimen stoppen. Liebe Freunde. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe für uns.“ Wieder wurde applaudiert. „Wir Burschenschafter lehnen die geschichtswidrige Fiktion einer österreichischen Nation ab. Ja. Und warum sollte ich mich von meiner Burschenschaft abwenden.“ Wieder war Tumult. „Natürlich muß ein Bundespräsident überparteilich sein. Na ja. Ich bin eigentlich ein überparteilicher Kandidat. Nein. Das bin ich natürlich nicht. Ich bin ein Freiheitlicher durch und durch. Wir brauchen das freiheitliche Original, denn dieses Original ist Garant für eine positive Zukunft in Österreich. Daher hoffe ich wirklich, daß es schon bald nach dieser Bundespräsidentschaftswahl auch zu Neuwahlen kommt. Ich seh das genauso wie ihr. Ja. Sie werden sich wundern, wie das alles gehen wird. “ Wieder begann das Mikrophon zu pfeifen. Die Männer im Publikum schrieen und pfiffen. Höflein gemahnte zur Ruhe. Dann sagte er ganz leise und fast traurig. „Für mich ist das Schönste, wenn ich nach Hause komme und der Robi setzt sich auf den Schoß und beginnt zu schnurren. Das ist so entspannend. Das kann ich jedem empfehlen. Das ist perfekt.“ Dann begann der Mann zu schreien. „Aber Ihr. Je lauter Ihr schreit, desto besser ist das Wahlergebnis für uns. Schreit, schreit so laut ihr könnt. Schreit und die werden sich wundern, was alles gehen wird.“

Der Tumult wurde noch größer. Alle waren um den Mann am Mikrophon gedrängt.

Vroni schlüpfte hinaus. Auf der Stiege hinauf kam ihr der Mann entgegen, den sie suchte. Sie schaute ihm ins Gesicht. Vroni lief auf die Straße hinauf davon. Sie hielt ein Taxi auf und fuhr nach Hause. War das ein Rest von Mascara in den Wimpern von diesem Schläger gewesen?

1 Diese Folge ist stellvertretend für alle Flüchtenden auf der Welt den 71 Personen gewidmet, die 26. August 2015 auf der Fahrt von Ungarn nach Deutschland in einem LKW erstickten. Die Kinder, Frauen und Männer kamen aus dem Irak, Syrien, Afghanistan und Iran. Das jüngste Kind war 10 Monate alt. Auf dem Lastwagen außen war Werbung für Konserven mit Hühnerfleisch angebracht.