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01.12.2016

Wahlkampfroman 2016. „So wird das Leben.“ 18. Folge.

Wahlkampfroman 2016.

So wird das Leben.

Achtzehnte Folge1.

„Ich mach das schon.“ sagte Frau Fischer und ging zur Tür. Draußen standen ein sehr junger Polizist und eine sehr junge Polizistin. Beide waren nicht sehr groß und es sah aus, als wären die Waffen an ihren Gürteln viel zu schwer für sie. Die Polizistin spielte mit dem Etui für die Handschellen, das an ihrem Gürtel hinten an ihrem Rücken festgeklippt war. Sie klickte den Verschluß während der ganzen Amtshandlung auf und zu.

„Ja?“ fragte Frau Fischer. Die Vroni und der Onkel Franz waren der Frau Fischer in das Vorzimmer nachgegangen. „Wir haben einen Anruf bekommen, daß in dieser Wohnung eine Gewalttat vermutet wird.“ sagte der junge Polizist, und die Polizistin ließ das Handschellentäschchen klicken.

„Eine Gewalttat vermuten?“ murmelte Onkel Franz, und Frau Fischer lachte. „Nicht weniger als eine Gewalttat? Von welcher Nummer sind Sie denn da angerufen worden?“ fragte sie.

„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“ Der junge Polizist sprach sehr laut. „Kommt einmal alle her.“ rief Frau Fischer. Die Vroni und die Mia gingen gleich an die Wohnungstür. Der Onkel Franz schaute noch schnell ins Wohnzimmer und deutete dem Markus, er solle mit dem Sven im Zimmer bleiben.

„Wir kommen schon.“ sagte er sehr laut und machte die Tür zum Wohnzimmer hinter sich zu. „Das war der Nachbar von unten. Wissen Sie.“ sagte er und ging auf den Vorplatz hinaus. Er sprach mit der Polizistin. „Da gibt es ein Problem mit einem Wasserschaden und deshalb…“ Der Onkel Franz schaute die junge Polizistin hilflos lächelnd an. Der Polizist trat einen Schritt vor zwischen die beiden. Frau Fischer lehnte sich gegen den Türstock ihrer Wohnungstür und sagte, „Es gibt kein Gewaltverbrechen. Das sehen Sie doch.“

Die Vroni lächelte den Polizisten an. Die Mia zuckte mit den Achseln. Der Mann schaute alle der Reihe nach an. Die Polizistin klickte mit dem Etuiverschluß. Der Polizist machte noch einen Schritt auf die Tür zu. Frau Fischer blieb in ihrer Tür stehen. Die Mia lehnte sich gegen ihre Mutter. Die Vroni stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute über Frau Fischers Schulter auf das Stiegenhaus hinaus.

Der Onkel Franz ging an das Geländer vom Stiegenaufgang. Er verschränkte die Arme und sagte von dort, „Sie werden doch nicht das Wort von Frau Dr. Fischer anzweifeln. Frau Dr. Fischer ist eine anerkannte Rechtsanwältin und arbeitet in einer der wichtigsten Kanzleien von ganz Österreich.“ Der Polizist mußte sich umdrehen und einen Schritt zurückmachen, um mit ihm sprechen zu können.

Einen Augenblick standen dann alle still. Die Vroni hatte plötzlich Mühe ernst zu blieben. Sie spürte einen Lachanfall aufsteigen. Sie mußte an Sven im Wohnzimmer denken und was passierte, wenn die den fanden? Warum taten sie alle das? Sie sollten diesen Mann der Polizei übergeben. Und was, wenn dieser Sven plötzlich selber um Hilfe schrie. Was würde dann passieren. Dann stellte sie sich den Chrobath vor, wie er in seiner Wohnung lauerte und wartete, daß die Polizei sie alle abführte. Sie überlegte, was die Polizei überhaupt für Informationen hatte. Dann war das mit dem Lachen nicht mehr zu verbergen. Die Vroni mußte ins Schlafzimmer laufen. Sie schlug die Tür hinter sich zu, warf sich aufs Bett und prustete in einen Polster. Dann kam aber schon die Mia nach, und sie mußte auch lachen.

„Die Polizei ist wieder weg.“ kicherte sie, und Frau Fischer rief schon nach ihnen. Alle versammelten sich wieder im Wohnzimmer.

„Was ist da los?“ fragte sie Sven. „Die Polizei. Das war der Chrobath. Oder?“ „Das nehmen wir einmal an.“ murmelte der Onkel Franz. „Warum soll er das denn tun?“ fragte die Vroni. „Unruhe stiften?“ meinte Markus. „Uns ins Unrecht setzen?“ sagte Frau Fischer. „Das kann der gut.“ seufzte Sven.

„Also!“ Markus stieß Sven an. „Heast Oida. Red doch!“

Sven beugte sich wieder nach vorne und schaute auf den Boden vor seinen Schuhspitzen

Dann begann er doch zu reden. „Na. Erpressung halt. Zur Burschenschaft bin ich wegen dem Tom gegangen. Also. Der hat mich da hingebracht. Es hat mir e nicht gefallen. Diese komischen Rituale und wie die reden. Aber dann waren wir dauernd bei dem Maximus zu Hause und der hat immer einen Job gewußt. Da war immer was los und so. Und zuerst. Da ist immer nur so geredet worden. Da war das nur so theoretisch. Dann war das mit der Mensur. Aber wenn alle das machen, dann schaut das nicht so schwer aus. Und fechten. Das lern ich auch fürs Schauspielen. Und dann. Der Alte hat plötzlich alles gewußt. Das Witzige ist. Mir ist da erst alles so klar geworden. Und was ich eigentlich will. Also. Ich war vorher gar nicht so sicher. Wegen der Conchita. Das hat mich total unsicher gemacht. Ich habe gedacht, ich mach da nur etwas nach. Aber wie der da geredet hat, da hab ich mir gedacht. Also. Da ist mir das eben klar geworden. Ich fang einmal mit der Beratung an und dann wird schon etwas sein. Aber den Maximus. Also den Chrobath. Den hat das total zum Toben gebracht. „Wie kannst du kein Mann sein wollen.“ hat er geschrien. Und daß wir alles bekommen sollen. Von dem Höflein sollen wir alles bekommen. Ökologie. Gesundheitssystem. Und so. Österreich soll ein wahres Paradies sein, aber die Männer müssen die Männer bleiben. Ich weiß auch nicht. Es sollte ja nicht so ernst werden. Und ich war total fertig. Da hauen wir hin, und es ist der Maximus selber. Ich wollte niemanden. Richtig. Ich meine. Der hat das wollen. Ich hab gar nicht anders können. Der hat von dem Dr. Koller alle Befunde gehabt. Die Diagnose. Die Protokolle wegen dem Zugehörigkeitsempfinden. Nur das mit dem äußeren Erscheinungsbild. Da bin ich noch nicht so weit.“

„Aber ich habe doch Mascara gesehen. Bei dem Höflein Besuch bei Euch. Da im Keller.“ rief die Vroni. „Dabei ist es in Österreich doch überhaupt kein Problem. Was kann da erpresst werden.“ Frau Fischer schüttelte den Kopf. „Na ja.“ Der Onkel Franz klang skeptisch. „Die Gesetze sind da. Aber die Einstellung. Sie glauben doch nicht, daß jetzt alle tolerant sind, weil Conchita diesen Wettbewerb gewonnen hat oder der Life Ball stattfindet. Österreich. Das ist doch keine offene Gesellschaft. Und das wird schon stimmen. Österreich ein ökologisches Paradies und eine gesellschaftliche Hölle der Unbarmherzigkeit.“ höhnte der Onkel Franz. Frau Fischer seufzte. „Ach Österreich.“ Die Vroni setzte sich so weit weg wie möglich von diesem Sven auf das Sofa. Dann stand sie aber doch lieber wieder auf und ging ans Fenster. „Österreich.“ sagte sie. “ Seit 1789 Angst vor der Revolution. Seit 1848 Konstitutionssehnsucht. Die katholische Kirche immer schon moralische Staatsanstalt sich kaiserlos in den Austrofaschismus steigernd. Dann Gott durch das deutsche Volk und den Führer ersetzt. Demokratie nachgelernt. Selbstbewußtsein nicht. Männernostalgie. Jetzt. Oder?“ Sie schaute Sven ins Gesicht. Der hielt ihren Blick nicht aus und starrte an ihr vorbei.

„Wir können nicht so tun, als wäre nichts gewesen und den da laufen lassen.“ sagte Markus. „Nein.“ stimmte ihm Frau Fischer zu. „Aber wir können es zu unseren Bedingungen machen.“ „Aber wenn er doch erpresst worden ist.“ rief die Mia. „Das ist doch auch schrecklich.“ „Aber er hätte deswegen nicht meine Nichte verletzen müssen. Und bitte. Vergessen wir nicht, daß ich mit diesem Anschlag gemeint gewesen bin. Ich kann das alles nicht lustig finden.“ Onkel Franz stellte sich vor Sven hin und schaute böse auf ihn hinunter.

„Mami.“ Die Mia stellte sich zu ihrer Mutter. „Ach. Mia. Ich bin nicht sicher.“ „Nein.“ bettelte Mia. „Transgender. Ich bitte dich.“ Frau Fischer seufzte. „Ich verstehe dich schon. Aber weißt du. Das muß alles auch gar nicht stimmen.“ „Du meinst, das ist nur so ein Gschichtl?“ Die Mia wollte es gar nicht glauben. Frau Fischer seufzte. „Nun.“ sagte der Onkel. „Es ist schon noch zu erwarten, daß jemand die Verantwortung für seine Taten übernimmt. Geschlecht trans, sub oder was auch immer.“ Frau Fischer hob die Hand. „Ich überlege, wie wir diesen Chrobath mit hineinnehmen können. „Werden Sie“. Sie wandte sich an Sven. „Werden Sie das alles so bei der Polizei sagen. Oder bei der Staatsanwaltschaft.“ Sven nickte. „Das ist nicht genug.“ sagte Markus. Sven nickte wieder.

„Wer braucht einen Kaffee?“ fragte die Mia. Sie begann Kaffee zu kochen. Sie goß Wasser in die Kaffeemaschine und löffelte Kaffeepulver in den Filtertrichter. Markus hatte sich zur Vroni gestellt. Die Vroni schaute auf den Platz hinunter. Die Bäume waren ohne Blätter. Sie konnte durch die Platanenzweige auf den Boden hinunterschauen.

Das hatte sie sich anders vorgestellt. Sie holte tief Luft. Sie hatte gedacht, es würde befriedigend sein, wenn sie den Täter gestellt hatte. Aber es war nur traurig. Sie seufzte wieder. Markus legte seinen Arm um ihre Schulter, und sie lehnte sich einen Augenblick gegen ihn.

„Warum hast du dir das nicht überlegt.“ fragte sie Sven. „Auf so etwas kann man doch nicht so ohne Weiteres eingehen. Und wenn du schon nicht an jemanden anderen denkst, dann mußt du doch an dich selber denken.“ Der Onkel schnaufte empört und ging zur Küche. Es hatte nach Kaffee zu riechen begonnen.

„Es liegt an dir.“ sagte Frau Fischer auch zu Sven. „Vielleicht hätten wir ihn mit der Polizei mitschicken sollen. Vroni! Für dich ist das ja etwas ganz anderes. Leute!“ Frau Fischer wandte sich an alle. „Ich finde, die Vroni soll entscheiden, was mit diesem jungen Mann geschehen soll.“

Die Vroni schüttelte den Kopf. „Nein.“ sagte sie. Einen Augenblick war sie sehr müde und traurig. „Ich kann das nicht. Und. Das ist eine der Aufgaben des Staats. Das kann ich nicht ändern. Es tut mir leid.“ sagte sie in Richtung Sven. Der ließ sich noch tiefer in den Fauteuil sinken. „Dann trinken wir jetzt Kaffee.“ Frau Fischer und Mia brachten allen Kaffee. Auch der Sven bekam ein Häferl. „Und dann…“ Alle nickten. Der Onkel stellte sich zu Vroni ans Fenster. Markus hatte seinen Arm von Vronis Schultern nehmen müssen, aber er lehnte gegen Vronis Arm. Die Mia und Frau Fischer waren hinter Sven stehen geblieben. „So etwas passiert immer nur, wenn Gruppen sich so vollkommen aus der Gesellschaft herausnehmen.“ sagte Frau Fischer. „Und sich besser vorkommen.“ sagte der Onkel Franz. „Habt Ihr Euch eingebildet, Ihr seid eine Elitetruppe. Was? Daß es nie etwas Neues gibt…“

Alle tranken oder nippten an ihrem Kaffee. Die Vroni wünschte sich, daß dieser Augenblick so lange wie möglich dauern sollte. Sie wollte nicht mehr an diesen Überfall denken. „Bin ich so faul?“ fragte sie sich. „Bin ich zu faul für eine Strafverfolgung. Habe ich nicht genug Selbstachtung, Gerechtigkeit für mich zu verlangen?“ Sie schüttelte den Kopf. Markus sah sie fragend an. Die Vroni lächelte. „Daß immer alles Arbeit ist.“ sagte sie. Markus schaute sie fragend an. „Es ist alles so anstrengend.“ fügte sie hinzu. Der Markus nickte. „Ich glaube, ich weiß, was du meinst.“ Vronis Handy läutete.

1 Diese Folge ist allen Kindern gewidmet, die weltweit in Kriegen leben müssen.